Gras ist ein spezielles Produkt
Der Abgeordnete Sebastián Sabini über die Regulierung von Marihuana in Uruguay
Seit zwei Jahren ist die staatliche Regulierung von Marihuana nun in Kraft. Das Gesetz sieht drei Wege vor, um legal in den Besitz von Marihuana zu gelangen: individueller Eigenanbau, gemeinschaftlicher Anbau in Cannabis-Clubs und der Verkauf in Apotheken. Als Eigenkonsum gelten maximal 40 Gramm monatlich. Wie beurteilen Sie das Gesetz rückblickend?
Ich halte es insgesamt für ein sehr gutes Gesetz. Es reguliert vertikal den Konsum von der Produktion bis zum Verkauf und eröffnet medizinische, wissenschaftliche und industrielle Anwendungsmöglichkeiten. Es weitet die Rechte der Konsumenten aus, enthält aber auch die Punkte Prävention, Information und eine Verbesserung des Gesundheitsbereiches. Das Gesetz verfolgt also einen ganzheitlichen Ansatz.
Und die Umsetzung?
Mehr als 4500 Personen bauen heute Marihuana an, ohne deswegen juristisch behelligt zu werden. Sie müssen nicht mehr mit dem Schwarzmarkt in Kontakt treten und kommen dadurch nicht mit harten Drogen in Berührung. Es wurden zudem bereits die ersten Lizenzen für wissenschaftliche Forschung vergeben und es gibt eine Anfrage für die industrielle Nutzung. Insgesamt ziehe ich eine positive Bilanz, auch wenn das System noch nicht komplett funktioniert.
Wo besteht Nachholbedarf?
Wir brechen nicht nur mit einer jahrzehntelang praktizierten Politik, sondern auch einer institutionellen Kultur. Sicherheitskräfte und Justiz müssen zum Beispiel einen Paradigmenwechsel umsetzen und sich an die neue Situation gewöhnen. Das Gesetz ist in Kraft, ändert aber für sich genommen noch nicht die Realität. Diese Veränderungen brauchen Zeit. Für die Konsumenten muss vor allem der Verkauf in Apotheken umgesetzt werden. Dieser wird voraussichtlich im Juni beginnen.
Für viele dürfte der Bezug über die Apotheke der plausibelste Weg sein, um sich mit Marihuana zu versorgen. Wieso hat sich der Verkaufsstart immer wieder verzögert?
Die Regulierungsbehörde IRCCA hat bisher zwei Lizenzen für den Anbau vergeben. Sie musste sicherstellen, dass die Unternehmen keine Verbindungen zum Drogenhandel aufweisen und sie daher sehr genau überprüfen. Und da das IRRCA ganz neu gegründet wurde, konnten wir erst mit Verabschiedung des neuen Haushalts ein Jahr später ausreichend finanzielle Mittel für die Behörde bereitstellen. Das sind einige der Gründe, warum es länger gedauert hat als geplant. Aber ich ziehe das vor, wenn es dafür am Ende gut funktioniert, anstatt, dass es zügig, aber fehlerhaft umgesetzt wird.
Das heißt, wie gut die staatliche Regulierung funktioniert, wird sich erst zeigen, wenn der Apothekenverkauf etabliert ist?
Das Ziel, einen Markt zu kontrollieren, der sich in den Händen des Drogenhandels befand, konnten wir bereits erreichen. Und wir haben einen der Hauptkritikpunkte widerlegt, wonach der Konsum durch die Regulierung des Eigenanbaus ansteigen würde. Das ist nicht der Fall und wir bestätigen damit die Erfahrungen anderer Länder, die eine Art der Regulierung vorgenommen haben. Das Entscheidende ist, dass es in Uruguay nicht Konzerne sind, die die Kriterien festlegen, sondern der Staat. Es gibt zum Beispiel keinerlei Werbung. Das zeigt, dass es nicht darum geht, den Konsum auszuweiten, sondern verantwortlich mit dem Thema umzugehen. Drogenkonsum birgt Risiken in sich, eine Droge ist nicht ein Produkt wie jedes andere. Und deshalb setzen wir auf staatliche Regulierung statt eine Liberalisierung des Marktes.
Auf internationaler Ebene, vor allem in Lateinamerika, wird verstärkt über die negativen Folgen der Prohibition diskutiert. Was kann Uruguay zu der Debatte beitragen?
Wir zeigen, dass Drogen politisch reguliert werden können, und zwar mit einem Fokus auf öffentlicher Gesundheit und der Ausweitung von Rechten. Dies ist ein sehr wichtiger Beitrag, um den prohibitionistischen Ansatz zu ändern, der weltweit vorherrschend ist. Aber es ist etwas paradox, dass wir überhaupt zeigen sollen, dass eine Politik gut funktioniert, wenn es offensichtlich ist, dass die andere Politik sehr schlecht funktioniert. Eine Politik, die tausende Menschen nur deshalb einsperrt, weil sie Drogen konsumieren, die für hunderttausende Tote, Verschwundene und Korruption auf allen staatlichen Ebenen verantwortlich ist. Aber es scheint, als stünden die Dinge auf dem Kopf.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.