Wenn der Ausstand zum Normalzustand wird
Gewerkschaften in Belgien und Frankreich wehren sich gegen Arbeitsmarktreformen ihrer Regierungen
Ein großangelegter Streik in Belgien hat am Dienstag das öffentliche Leben beeinträchtigt. Ausgerufen wurde der Ausstand von den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Da gleichzeitig die Bahnmitarbeiter ihren mittlerweile siebten Streiktag begingen, war das Chaos vor allem auf den Straßen zu spüren. 300 Kilometer Stau im ganzen Land vermeldete die Nachrichtenagentur Belga für den morgendlichen Berufsverkehr. Busse, Straßen- und U-Bahnen blieben in den Depots. Die Thalys-Schnellzüge fuhren nicht. Wer konnte, blieb zu Hause.
Die Proteste richteten sich erneut gegen die geplanten Sparmaßnahmen der Mitte-Rechts-Regierung des liberalen Premierministers Charles Michel. Für die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sehen die Reformen Flexibilisierungen der Arbeitszeit und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters vor. Bereits vergangene Woche waren aus Protest dagegen 60 000 Menschen zu einer Demonstration in Brüssel zusammengekommen.
So viele Menschen gingen nun nicht auf die Straßen. Doch zeigte sich wieder einmal die Spaltung des Landes in Norden und Süden. In der Wallonie, dem traditionell roten Süden des Landes, lief fast gar nichts mehr - bis auf Protestmärsche mit mehreren tausend Teilnehmern in Mons, Namur und natürlich in Brüssel. Hier kamen nach Schätzungen der Polizei 7500, nach Angaben der Gewerkschaften 12 000 Menschen zusammen. Die Demonstrationen verliefen friedlich. Im nördlichen Landesteil, in Flandern, finden die Streikaufrufe dagegen wenig Zulauf. Die Flamen beteiligen sich nicht am Bahnstreik. Nur eine Protestkundgebung in Gent mit 1000 Teilnehmern fand statt.
Symbolisch für die Zerrissenheit des Landes im aktuellen Kräftemessen mit der Regierung steht der Aufruf der frankophonen sozialistischen Gewerkschaft im Öffentlichen Dienst (CGSP). Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Regierung zu stürzen. Die flämischen Gewerkschaften haben sich von dieser Forderung distanziert.
Ein rasches Ende der Streikwelle ist nicht in Sicht. Noch am Dienstag kündigten einige Gewerkschaften an, die Proteste gerade im öffentlichen Nahverkehr auf Mittwoch auszuweiten. Die Bahngewerkschaften haben ihre Arbeitsniederlegung bis mindestens Freitag verlängert. Das Gefängnispersonal in der Wallonie und in Brüssel arbeitet seit mehr als vier Wochen nicht. Der nächste Streiktag im öffentlichen Dienst ist bereits für den 24. Juni angekündigt.
Auch in Frankreich kommt es zu neuen Streiks. Die Eisenbahner legen ab diesem Mittwoch die Arbeit nieder, die Piloten von Air France haben am Montag einen Ausstand im Juni beschlossen. Die Berufsstände protestieren gegen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und die von der französischen Regierung angestrebte Lockerung des Arbeitsrechts.
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