Europa braucht neue Allianzen
Griechenlands Arbeitsminister Katrougalos über Wege aus den Krisen auf dem Kontinent
Am Freitagmorgen ist erneut ein Flüchtlingsboot vor der griechischen Insel Kreta gesunken - es werden hunderte Tote befürchtet. Warum gelingt es Europa nicht, das Sterben im Mittelmeer zu beenden?
Weil es die derzeitigen Machtverhältnisse in Europa nicht zulassen. Es dominiert in wirtschaftlicher Sicht ein neoliberaler Ansatz und auf politischer Ebene der Nationalismus. Dabei ist klar, dass es keine Lösung ist, einfach eine Route dicht zu machen. Die Menschen werden es über andere Wege versuchen. Deshalb brauchen wir auch eine europäische Lösung. Nicht einmal ein großes Land wie Deutschland kann das allein schaffen, wie soll es da erst Griechenland gelingen? Es braucht europäische Solidarität und wir müssen uns an die Beschlüsse halten, die wir im vergangenen Jahr zur Umverteilung der Flüchtlinge getroffen haben.
Der Umgang mit den Flüchtlingen ist nicht das einzige Thema, bei dem Europa uneinig ist. Über das dritte Kreditprogramm für Griechenland wurde immerhin kürzlich in der Eurogruppe eine neue Vereinbarung getroffen. Wie sehen Sie nun die Aussichten für eine wirtschaftliche Erholung Ihres Landes?
Wir erhalten gemischte Signale. Im vergangenen Jahr etwa erreichten wir laut Eurostat 0,7 Prozent Haushaltsüberschuss. Der Internationale Währungsfonds (IWF) dagegen hatte ein Defizit vorhergesagt. Erstmals sehen wir nun einen leichten Rückgang bei der Arbeitslosigkeit. Nach der Spitze von 27 Prozent sind wir inzwischen bei 24 Prozent angelangt. Dass wir nun eine Vereinbarung haben, wirkt auf zwei Ebenen. Zum einen ist die politische Unsicherheit überwunden. Andererseits haben wir nun erstmals eine Roadmap zur Verringerung der Schuldenlast. Sie bleibt ein grundlegendes Problem unserer Wirtschaft. Unsere Aussichten sind also viel besser als vor der Entscheidung der Eurogruppe. Es gibt Hoffnung, dass die Wirtschaft im zweiten Halbjahr wächst und wir sogar ein größeres Wachstum im Jahr 2017 erreichen als das bisher von der EU-Kommission prognostizierte von 2,3 Prozent.
Sie sind positiv gestimmt. Anscheinend genauso wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, wie er in dieser Woche verlautbarte. Herrscht mit der gefundenen Einigung auch mehr Einigkeit zwischen den Regierungen?
Wir haben große Differenzen mit Herrn Schäuble. Aber auch er wollte jetzt eine neue Krise vermeiden.
Es bleiben also Unterschiede in Fragen, wie die Wirtschaft wiederbelebt werden kann?
Wir setzen darauf, Arbeitsplätze zu schaffen und diskutieren gerade ein entsprechendes Gesetz im Parlament. Während der IWF davon ausging, dass niedrigere Löhne Griechenland wettbewerbsfähiger machen würden, sehen wir, dass eine Senkung um 40 Prozent nicht geholfen hat. Unsere Nachbarländer Rumänien und Bulgarien haben immer noch niedrigere Löhne. Wir gehen davon aus, dass wir unsere komparativen Vorteile nutzen müssen. Das sind unsere gut ausgebildeten jungen Menschen, unsere geografische Lage - wir können ein Tor zu Europa für China und den arabischen Raum sein - und wir müssen unsere landwirtschaftlichen Produkte besser und selbstständig vermarkten. Die griechischen Oliven werden zum Beispiel nach Italien gebracht und dort verarbeitet. Das ist keine gute Art, mit seinem Reichtum umzugehen.
Frankreichs Premier Manuel Valls ist derzeit zu Besuch in Athen. Die französische Regierung kündigte an, Griechenland helfen zu wollen, mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit und in Fragen der Organisation der Verwaltung. Wie wichtig ist solch bilaterale Kooperation?
Frankreich, aber auch Italien und andere Staaten waren Griechenland immer freundlich gesinnt. Aber es muss um mehr gehen. Wir brauchen neue Allianzen mit der Sozialdemokratie, zumindest mit deren linken Vertretern. Aber das setzt natürlich voraus, dass sie mit ihrer derzeitigen Ausrichtung an neoliberaler Politik brechen. Wir haben in Griechenland den klaren Beweis erbracht, dass wenn die Sozialdemokratie nur noch neoliberal agiert, sie praktisch verschwindet. So erging es der PASOK. Andererseits sehen wir das Beispiel Portugal, wo ein linkes Bündnis gebildet wurde. Wir sehen solche Tendenzen auch im Europäischen Parlament.
Sie und Ihr Ministerium hatten in den vergangenen Monaten reichlich mit der Rentenreform zu tun, die die Gläubigerinstitutionen Griechenland abverlangten. Was ist nun der nächste Schritt?
Wir haben versucht, die Rentenreform sozial gerecht zu gestalten. Jetzt geht es darum, das auch beim Arbeitsrecht zu tun. Im Zuge der Krise wurden viele Rechte etwa bei Tarifverhandlungen abgebaut. Der IWF verlangt nun, die Reform an den besten bestehenden Regelungen auszurichten. Dazu haben wir aber andere Vorstellungen. Wir wollen das europäische Sozialsystem verteidigen. Deshalb wollen wir nun die Internationale Organisation für Arbeit sowie das EU-Parlament einbeziehen.
Sie waren selbst kurzzeitig auch Europaabgeordneter und beteiligen sich immer wieder an Konferenzen zur Zukunft der EU. Warum liegt Ihnen Europa am Herzen?
Weil ich denke, dass wir kein soziales Land haben können innerhalb eines neoliberalen und autoritären Europas. Wir müssen versuchen, die Machtbalance auf europäischer Ebene zu unseren Gunsten zu verändern. Dafür müssen wir einen gemeinsamen Weg gegen den Neoliberalismus finden. SYRIZA hat immer gesagt, dass sich Europa ändern muss, aber man dies in Europa tun soll, nicht von außerhalb. Ich halte das immer noch für die beste Strategie auch für die europäische Linke.
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