Ein Film als Versuchsanordnung
Regisseur Johannes Schmid über seinen neuen Film »Agnes«
Johannes Schmid gewann für »Wintertochter« 2012 den Deutschen Filmpreis für den Besten Kinderfilm, zuvor war er 2007 mit seinem Debüt »Blöde Mütze« im Wettbewerb des Kinderfilmfestes der Berlinale. Jetzt legt er die Adaption von Peter Stamms Liebesgeschichte »Agnes« vor, in dem sich der Sachbuchautor Walter und die Physikstudentin Agnes ineinander verlieben. Nachdem er sich von ihr überreden ließ, sie ins Zentrum seines Romandebüts zu stellen, verschwimmen Fiktion und Realität.
Was hat Sie an dem Roman fasziniert?
Als ich ihn vor mehr als zehn Jahren las, fühlte ich mich sofort zu Hause. Das hatte auch persönliche Gründe. Mich ließ nicht los, dass zwei Menschen, die sich lieben, so heftig aneinander scheitern. Jeder will den anderen auf eine bestimmte Art sehen und versucht, ihn nach seiner Wunschvorstellung zu prägen. Zugleich hat mich als Regisseur gereizt, dieses ständige Spiel mit Wirklichkeit und Romanebene ins Filmische zu übersetzen. Peter Stamm konnte die Wirklichkeitsgrenzen im Schriftbild deutlich signalisieren. Das musste ich adaptieren.
Sie setzen die Ebenen über Bild und Ton ab. Warum verzichten Sie auf deutliche Signale?
Der Film ist eine Versuchsanordnung. Ich habe bewusst auf ein Voice Over als innere Stimme verzichtet. Dafür hat der Film bestimmte Überhöhungen und ist auf allen künstlerischen Ebenen - von der Sprache, über die Bilder bis zum Sounddesign – genau gestaltet.
Warum verzichten Sie auf eine psychologische Deutung des Geschehens, die der Roman anbietet?
Peter Stamm lässt ungeheuer viel Interpretationsspielraum. Er komprimiert, lässt jedes überflüssige Wort weg, er verdichtet, um Freiraum für den Leser zu schaffen. Beim Film sind echte Menschen zu sehen. Dafür haben wir die Figuren konkretisiert und sie in Deutschland verortet. Aber letztlich muss auch im Kino der Zuschauer interpretieren, was er sieht. Um ihm dafür Offenheit zu schaffen, bieten keine Vorgeschichte der Figuren oder einfache Erklärungsversuche für ihr Verhalten. Damit erleichtern wir, dass der Zuschauer sich in den Figuren wieder erkennt.
Ist unser aller Unterbewusstsein nicht von Idealpartnervorstellungen geprägt, die die Wirklichkeit nie einlösen kann?
Wir leben in einer Welt, in der das von sich selbst entworfene Bild ungeheuer wichtig wurde und es uns zunehmend schwerer fällt, dieses Selbstbild mit dem Fremdbild in Einklang bringen. Ebenso projizieren wir unsere Vorstellungen vom Partner auf einen wirklichen Menschen und sind oft nicht fähig zu akzeptieren, dass der ein fremdes Wesen ist. Wir finden keinen Weg, um mit dieser Fremdheit umzugehen.
Den blauen Parka von Walter haben Sie bei Peter Stamm abgekupfert?
Ich hatte niemals die Intention, dass er aussieht wie Peter Stamm, und will nicht beurteilen, wie viel die Figur mit ihm zu tun hat. Ich habe auch so lange an dem Buch gearbeitet, das die Männerfigur was mit mir zu tun hat.
Hat er sich sonst eingemischt?
Meine Koautorin Nora Lämmermann und ich haben ihm etliche Fassungen des Buches geschickt. Ein Feedback haben wir nie erhalten. Wir hatten aber ein so gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut, dass die Produzenten die Rechte am Stoff günstig kaufen konnten. Stamm hatte anscheinend das Gefühl, dass er in gute Hände gelangt. Er war dann einmal am Drehort und ist jetzt, glaube ich, glücklich mit dem Film.
Sie haben Ihre Karriere mit zwei Kinderfilmen gestartet. Ist dieses Drama nun für Sie der nächste Schritt?
Meine Filme sind von den gleichen Leuten künstlerisch gestaltet, da ergeben sich zwangsläufig Ähnlichkeiten in Kameraführung oder Musik. Aber natürlich sind es völlig unterschiedliche Filme. Seit 15 Jahren inszeniere ich zudem Theaterstücke und Opern für Kinder und das Abendpublikum. Diese Bandbreite bediene ich gerne, wobei die Ernsthaftigkeit, mit der ich etwas erzähle, in allen Genres und Kunstformen gleich bleibt. Ich habe jetzt Lust, wieder eine Oper zu inszenieren, weil man innerhalb von sechs Wochen zu einem Ergebnis kommt. Und ich werde zum Kinderfilm zurückkehren. Meine Tochter ist jetzt fünf, da ergibt sich sicher was.
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