Gauck-Nachfolge: SPD wartet auf Merkel
Bericht: Gabriel will vorerst keinen eigenen Kandidaten benennen - Kanzlerin soll vorausgehen / Linksfraktionschefin Wagenknecht: Präsident mit sozialer Ausrichtung wäre »wichtiges Signal« / Debatte über Frau als Staatsoberhaupt
Berlin. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht hat die SPD aufgefordert, Position für einen künftigen Bundespräsidenten mit sozialer Ausrichtung zu beziehen. »Eine solche Persönlichkeit würde die Linke auf jeden Fall unterstützen, und wenn die SPD den Mut hätte, sie mit uns und den Grünen gemeinsam durchzusetzen, wäre das ein wichtiges Signal«, sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur. Seit Jahren wachse in Deutschland die soziale Ungleichheit, die Mittelschicht werde schmaler, Armut nehme zu, bekräftigte sie nun. »Ein Bundespräsident, dem die Wiederherstellung des Sozialstaats ein zentrales Anliegen ist, und der die soziale Dimension von Freiheit begreift, täte der politischen Debatte in unserem Land sehr gut«, sagte Wagenknecht.
Wagenknecht wiederholte ihre Auffassung auch im Deutschlandfunk. Ihrer Auffassung ist das Parteibuch einer möglichen Bewerberin oder eines Bewerbers »relativ egal«, es habe allerdings »Charme«, parteilose Kandidaten aufzustellen. Mit Blick auf die SPD sagte die Linkenpolitikerin, die Partei von Sigmar Gabriel versuche, »in der Rhetorik nach links abzubiegen. Wenn das glaubwürdig sein soll, muss es auch politische Schritte geben.« Dies könne sich auch in der Wahl des Bundespräsidenten verdeutlichen – dann, wenn darin zum Ausdruck komme, dass es bei den Wahlen 2017 um zwei unterschiedlich ausgerichtete Regierungsoptionen gehe. »Die SPD könnte ein Signal setzen, sich aus der Unterordnung der Großen Koalition abzusetzen«, so Wagenknecht. Allerdings reiche dies als Neupositionierung der SPD nicht aus. Die Sozialdemokraten müssten auch ihr Programm deutlicher nach links ausrichten. »Wenn die SPD permanent gegen ihre eigenen Wähler Politik macht, laufen die Wähler weg«, sagte Wagenknecht dem Sender.
Amtsinhaber Joachim Gauck hatte mit der Ankündigung des Verzichts auf die Kandidatur auf eine weitere Amtszeit die Parteien unter Zugzwang gesetzt. Wagenknecht hatte sich zuletzt auf dem Linken-Parteitag in Magdeburg enttäuscht über die SPD gezeigt. Ihre Schlussfolgerung war, dass die Linke mit Sozialdemokraten und Grünen keine gemeinsame Sache machen könne. Doch in den vergangenen Tagen hatten viele Linkenpolitiker eine Debatte über einen gemeinsamen Kandidaten von SPD, Linkspartei und Grünen gefordert. Dies solle im »Schulterschluss mit der gesellschaftlichen Linken« geschehen, hieß es aus der Linkspartei. Auch SPD-Linke hatten sich in diese Richtung geäußert.
Doch die SPD-Spitze will die Debatte offenbar nicht führen - zumindest jetzt nicht. Laut einem Bericht der »Bild«-Zeitung will SPD-Chef Sigmar Gabriel vorerst keinen eigenen Kandidaten für Gaucks Nachfolge benennen und zunächst abwarten, bis Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Vorschlag unterbreite. Erst dann werde entschieden, ob es Chancen für eine überparteiliche Zusammenarbeit gebe oder nicht.
Auch der CDU-Vizevorsitzende Armin Laschet drückt bei der Suche nach einem Nachfolger auf die Bremse. Die Kandidatendiskussion sei noch zu früh, sagte Laschet am Dienstag im ZDF-»Morgenmagazin« und fügte mit Blick auf die Landtagswahlen im September in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern hinzu: »Wir haben noch nicht einmal die endgültige Zusammensetzung der Bundesversammlung.«
Angesichts der Forderungen nach einer Frau im höchsten deutschen Staatsamt sagte Laschet, er mache einen guten Präsidenten oder eine gute Präsidentin nicht am Geschlecht fest. »Es geht am Ende um eine Person, die die Bundesrepublik Deutschland repräsentiert, und da gibt es ganz unterschiedliche Typen, und deshalb würde ich das nicht in einem Kriterienkatalog nach bestimmten Quoten bestimmen.«
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig und Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (beide SPD) sprachen sich derweil im rbb-Inforadio für eine Bundespräsidentin aus. Thierse sagte, er halte es für nicht ausgeschlossen und an der Zeit, dass eine Frau Staatsoberhaupt in Deutschland werde. Schwesig sagte, es sei an der Zeit für eine Frau. Das dürfe allerdings nicht das einizige Kriterium sein. Sie wünsche sich ein bürgernahes Staatsoberhaupt, mit einer Bereitschaft, für Demokratie zu werben. Daneben sei es ihr wichtig, dass sich der Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck gegen Rechtsextremismus positioniere, so Schwesig: »Diese klare Kante gegen Fremdenfeindlichkeit, die wünsche ich mir auch weiter.«
Es zeichnet sich eine schwierige Suche nach einem Nachfolger ab. Für die Partner der Großen Koalition stellt sich nun die heikle Frage, ob und mit wem sie im Februar 2017 bei der Kür des Staatsoberhaupts gegeneinander antreten - und welche Signale damit wenige Monate vor der Bundestagswahl ausgesendet werden. In der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt und in der die Abgeordneten des Bundestags sowie Vertreter der Bundesländer sitzen, hat keine Partei allein die für die ersten beiden Wahlgänge nötige absolute Mehrheit.
Zwar betonten sie unisono, sie wollten aus Respekt vor dem Amt und dem Amtsinhaber keine hektische Nachfolgediskussion. Allerdings werden schon etlich Namen gehandelt. Dazu zählen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle oder Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
CDU-Vize Armin Laschet rechnet nicht mit schnellen Entscheidungen. »Jetzt sollte man erstmal abwarten, bis man weiß, wie sich die Bundesversammlung überhaupt zusammensetzt«, sagte Laschet dem »Westfalen-Blatt«. Das sei erst nach den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin klar. »Dann ist Zeit genug bis zum Februar, einen guten Kandidaten zu finden.«
Der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion, Christian von Stetten, warnte vor einem Alleingang von CDU/CSU: »Wir sollten jetzt zuerst in der großen Koalition überlegen, wer ein gemeinsamer Kandidat sein könnte«, sagte er der »Heilbronner Stimme«. »Sowohl Wolfgang Schäuble als auch Norbert Lammert wären ausgezeichnete Bundespräsidenten«, fügte er hinzu. Schäuble sei eine der beliebtesten Persönlichkeiten des Landes. Lammert wäre nach Einschätzung von Stettens »ein überparteilicher Kandidat, der selbst von der Linken geschätzt wird«.
Der Grünen-Vorsitzende Chef Cem Özdemir sprach sich gegen eine Auswahl von Kandidaten nach Parteienkalkül aus. »Wir brauchen einen Präsidenten, der das gesamte Land zusammenhält«, sagte Özdemir der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er rate dringend dazu, dies bei Personalvorschlägen zum Maßstab zu machen - und nicht etwa, dass die Koalition oder die Union damit gut leben könnten. Die Bundesversammlung wählt den neuen Bundespräsidenten in gut acht Monaten, am 12. Februar 2017. Bis dahin amtiert Gauck weiter. Agenturen/nd
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