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Südeuropäische Zapatistas

Die katalanische Wahlplattform CUP hofft, dass die Gesellschaft mit der Unabhängigkeitsbewegung nach links rückt

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 6 Min.
Ein Politikwechsel durch die Neuwahlen in Spanien? Unvorstellbar für den früheren katalanischen Abgeordneten David Fernàndez. Seine CUP versucht es mit radikaldemokratischer Basisarbeit.

Die katalanische CUP (Candidatura D’Unitat Popular) ist ein Unikat in Europa. Die linke Wahlplattform definiert sich als Teil des »europäischen Zapatismus«, kennt keine formale Mitgliedschaft und setzt sich aus lokalen Vollversammlungen zusammen. Obwohl mit acht Prozent im katalanischen Parlament vertreten, bemüht man sich vor allem um eine Verankerung in Stadtteilen und Dörfern. 3000 Aktive, mehr als 100 soziale Zentren, 400 Gemeinderäte und 30 Bürgermeister bilden das Rückgrat der Organisation, die keine Partei sein will.

David Fernàndez ist, obwohl er aktuell keine Funktion in der CUP innehat, das bekannteste Gesicht der Koalition. 2012 bis 2015 war er Abgeordneter im katalanischen Parlament, wo ihm das Kunststück gelang, sich in wenigen Monaten in den beliebtesten Politiker Kataloniens zu verwandeln. Bei den Wahlen im vergangenen Herbst durfte er trotzdem nicht noch einmal antreten. In der CUP herrscht ein strenges, anarchistisches Kollektivregiment: kein Lohn für Funktionsträger über 1600 Euro, keine Amtszeit über vier Jahre, keine Macht für Abgeordnete. Und so arbeitet der 42-jährige Ex-Politiker mittlerweile wieder als Genossenschafter in einer kleinen, selbstverwalteten Finanzkooperative.

Ich befrage Fernàndez zur neuen Stadtregierung. Seit Mai 2015 wird Barcelona von einem Bündnis links der Sozialdemokratie regiert. Bürgermeisterin Ada Colau ist Bewegungsaktivistin und ehemalige Hausbesetzerin. Doch die CUP ist an der Stadtregierung nicht beteiligt. Warum eigentlich nicht? Fernàndez zögert einen Moment - man merkt, dass er nichts Schlechtes über die alten Weggefährten sagen will.

»Ich habe den Wahlsieg von Barcelona En Comú gefeiert, das war ein historischer Tag«, setzt er an. »Aber wir waren auch sehr besorgt. Die politischen Dynamiken sind einfach so ungleichzeitig: Auf der einen Seite bekommen Bewegungslinke große Unterstützung bei Wahlen - ob nun Podemos, Listen wie Barcelona En Comú oder auch die CUP. Auf der anderen ist der Organisierungsgrad in der Bevölkerung immer noch sehr niedrig.« Tatsächlich hat sich die spanische Gesellschaft mit der Transición, der Modernisierung nach Francos Tod 1975, enorm entpolitisiert. Erst mit den Platzbesetzungen 2011 hat es eine gewisse Reaktivierung gegeben, doch die Strukturen sind nach wie vor schwach. »Wenn man jetzt Metropolen wie Barcelona regiert und dann auch noch teilweise mit Verbündeten wie der ICV (Linksgrüne) oder der PSC (spanische Sozialdemokratie), die aus dem alten Machtapparat kommen, dann ist das, als würde man ohne Armee in eine Schlacht ziehen. Die kapitalistischen Interessen in einer globalisierten Stadt wie Barcelona sind enorm mächtig. Wie wollen wir da etwas ohne Organisierung von unten durchsetzen?«

Immer wieder werden wir bei unserem Gespräch unterbrochen, weil Nachbarn an den Kneipentisch treten, um dem Linksradikalen Fernàndez freundlich die Schulter zu tätscheln. Der Genossenschafter, der kein Politiker mehr ist, reagiert ein wenig verlegen. Eigentlich möchte er nur ein ganz normaler Nachbar sein. Aber andererseits macht es ihn offenkundig auch ein bisschen stolz, dass sich so viele Menschen in der vergangenen Legislaturperiode von der CUP, damals nur eine Drei-Prozent-Partei, vertreten gefühlt haben.

Fernàndez fährt fort, dass man selbstverständlich auch nicht einfach warten könne und dass jede Maßnahme der Stadtregierung, die Zwangsgeräumten oder Arbeitslosen helfe, wichtig sei. »Wir dürfen nur eben nicht vergessen, dass sich in Institutionen nichts ohne massiven gesellschaftlichen Druck bewegen lässt. Entscheidend für Veränderungen sind immer Bewegungen, die außerhalb von Institutionen, Staat und Märkten agieren.« Das Problem in Barcelona sei, dass die Kräfteverhältnisse für eine linke Regierung eigentlich nicht gegeben sind und dass Barcelona En Comú viele Leute aus den Bewegung abgezogen hat. »Außerdem überlässt man uns die Verwaltung der Krise. Das merken wir auch in den kleineren Gemeinden, wo wir als CUP die Stadtregierung stellen und die Ausgangsbedingungen eigentlich besser sind. In Badalona entscheiden wir gerade einmal über vier Prozent des Haushalts! Die Kommune ist so überschuldet, dass es gar keinen politischen Spielraum gibt.«

Für Fernàndez zeigen diese Erfahrungen, wie kompliziert es ist, wenn sich Bewegungslinke an Regierungen beteiligen. Barcelona En Comú hat vor wenigen Tagen einen Koalitionsvertrag mit der sozialdemokratischen PSC schließen müssen - also genau jener Partei, die die Inwertsetzung der Stadt für den Massentourismus in den 1990er und 2000er Jahren durchgesetzt hat. Und in den beiden großen sozialen Konflikten der letzten Monate - dem Streik der U-Bahn-Beschäftigten und den Protesten informeller Straßenhändler gegen ihre Vertreibung durch die Polizei - habe die Stadtregierung um Ada Colau sich von den Betroffenen distanziert, um politisch nicht geschwächt zu werden.

»Das alles ist aber auch Ausdruck der allgemeinen politischen Krise, die ja auch die Linke betrifft. Die Gesellschaft zerfällt heute in drei Teile: Ein Drittel ist fest beschäftigt, ein zweites Drittel prekär, das letzte Drittel völlig marginalisiert. Eine politische Einbindung gibt es heute eigentlich nur noch für das erste Drittel, das von Parteien und Gewerkschaften repräsentiert wird. Aber wie organisieren sich die anderen zwei Drittel?«

Die CUP versucht es über radikaldemokratische »Ameisenarbeit« - über Nachbarschaftszentren und Vollversammlungen in Gemeinden. Es geht darum, wieder ein »soziales Geflecht« aufzubauen. Aber die politischen Auseinandersetzungen werden natürlich trotzdem von ganz anderen Mustern beherrscht - vor allem von den Massenmedien. »In der Gesellschaft des Spektakels ist kein Raum für Komplexität, Politik wird wegdelegiert. Die Triade Wähler-Konsument-Zuschauer ist beherrschend.« Die CUP versucht dagegenzuhalten, indem sie sich diesem Politikstil verweigert. Als man im Winter über die Tolerierung der katalanischen Regierung verhandelte, entschied die CUP auf einer Vollversammlung mit über 3000 Menschen. Es kam zum Patt: 1515 zu 1515. »Die Medien verstehen das nicht. Sie kommen auch nicht damit klar, dass wir als Abgeordnete keine Anführer sind, sondern ganz unten in der Struktur stehen - die zufälligen Sprecher eines kollektiven Projekts.«

Und was sagt er zu den anderen beiden großen Themen: den spanischen Neuwahlen und der katalanischen Unabhängigkeit? Was einen Politikwechsel in Madrid angeht, macht sich Fernàndez keine Illusionen. Er hoffe auf ein gutes Ergebnis der Koalition von Podemos und Izquierda Unida. Aber selbst wenn dieses Bündnis auf über 25 Prozent komme, werde sich die PSOE jedem echten Politikwechsel verweigern. »Die Sozialdemokratie hat das herrschende ökonomische und politische Modell in Spanien installiert.«

Bleibt also nur die Gründung einer katalanischen Republik? Fernàndez ist auch hier vorsichtig. Die sozialliberale Regierung von Carles Puigdemont hat zwar die Loslösung von Spanien innerhalb von 18 Monaten versprochen, aber im letzten halben Jahr keine konkreten Maßnahmen ergriffen: »Die katalanische Regierung wird nichts machen, wenn sie nicht von der Gesellschaft gezwungen wird. Es waren die Massendemonstrationen der letzten Jahre, die Convergència (Liberale) und ERC (Sozialdemokraten) zu einem Kurswechsel bewegt haben. Aber jetzt versucht die Regierung, jeden offenen Konflikt mit Madrid zu vermeiden.«

Trotzdem setzt die CUP weiter auf die katalanische Unabhängigkeit: »Das ist eine Bewegung, die die Gesellschaft hier nach links treibt. 71 Prozent der Befürworter der Unabhängigkeit definieren sich als links. Und wir reden über einen konstituierenden Prozess. Wo gibt es das schon in Europa? Dass eine Gesellschaft darüber debattiert, in welcher politischen und sozialen Form sie leben will?« Er halte es mit dem unlängst aus dem Gefängnis entlassenen baskischen Linken Arnaldo Otegi, erklärt Fernàndez. Wenn sich eine Möglichkeit eröffne, Spanien grundlegend zu demokratisieren, dann könne die spanische Linke um Podemos auf die Unabhängigkeitsbewegungen in Katalonien und dem Baskenland zählen. Aber umgekehrt sollten auch die Linken in Madrid die Unabhängigkeitsbewegungen unterstützen, wenn sich zeige, dass die herrschenden Eliten innerhalb des bestehenden Nationalstaats nicht besiegt werden können.

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