Schätze in Schubladen
In Schwerin lagern unfassbare und vor allem unerfasste Mengen Kulturgüter
Schatzkammern reichen für die archäologischen Funde Mecklenburg-Vorpommerns nicht aus. Ganze Schatzhallen hat das Land angemietet. Bis unter die Decken stapeln sich auf Hochregalen bleistiftbeschriftete Pappkartons mit Fundstücken. Keramik- neben Glasscherben, undefinierbare Eisenklumpen neben menschlichen Skelettresten und Tierknochen. »700 Paletten aus den Einzeldepots werden hier gelagert«, sagt Landesarchäologe Detlef Jantzen. Es müssen Millionen Fundstücke sein. Und jedes Jahr kommen neue hinzu.
Bis 2015 wurden die Funde an verschiedenen Orten teils unter völlig unzureichenden Bedingungen aufbewahrt. »Eine Schande«, nannte Kultusminister Mathias Brodkorb (SPD) diese Provisorien. Manches ging verloren. Der schwerste Verlust: drei 7000 Jahre alte Einbäume, die unsachgemäß gelagert zerfielen. Jetzt ist zumindest alles in einem vorläufigen Depot in Schwerin in Sicherheit.
Im zweiten Halbjahr 2017 soll nach Angaben des Finanzministeriums in Schwerin der Bau eines Zentraldepots für die Landesarchäologie und die Staatlichen Museen beginnen. Ursprünglich sollte schon 2015 Baustart für das 50-Millionen-Euro-Objekt sein. Jantzen hofft, dass es im Neubau vor allem im Werkstattbereich bessere Bedingungen geben wird. Derzeit fehlten etwa Möglichkeiten zum ersten Reinigen der Fundstücke, zum Röntgen und Entsalzen.
In dem Übergangsdepot sind Mitarbeiter dabei, den Bestand erst einmal zu erfassen. Das heißt: Man weiß nicht, was man hat, man findet nicht alles und kann damit nicht arbeiten. Ein dreiköpfiges Team sichtet die Funde und gibt die Daten in Computer ein.
»Ausgrabungen im Depot« nennt Werkstattleiter Lorenz Bartel diese Arbeit. »Jedes vierte Stück birgt für uns eine echte Überraschung«, sagt der Archäologe Frank Wietrzichowski. Gerade hat er das Bruchstück einer arabischen Silbermünze aus dem 8./9. Jahrhundert wiederentdeckt, die einst in Pasewalk gefunden worden war.
In Werkstätten reinigen Frauen unter Mikroskopen unscheinbare Gegenstände aus Eisen, Holz oder Leder, die anschließend konserviert werden. Am liebsten mag Restauratorin Anica Kelp schöne Goldobjekte oder Silberschmuck, wie sie sagt. Doch der Alltag sieht anders aus. Daniela Drechsler klebt Keramikscherben, die bei Neubrandenburg gefunden wurden, zu einer fast vollständigen Urne zusammen. In Klima-Depots lagern mehrere 10 000 Objekte aus Metall und organischen Materialien, im Nasslager mehrere 1000 Stücke, die aus dem Wasser geborgen wurden, wie Schiffsteile.
Perfekt archiviert sind bislang wertvolle Stücke im Metalldepot. Münzen, Perlen sowie Schmuck aus Gold, Silber oder Bronze werden in Schubladenschränken aufbewahrt. Eisenschwerter, Messer oder Beschläge liegen in Regalen. Alle Stücke sind beschriftet und elektronisch erfasst - 25 000 Datensätze bisher. Die Objekte stehen schnell zur Verfügung, werden sie für Forschungen oder Ausstellungen gebraucht.
»Die archäologischen Funde sind die einzige Quelle für die ersten 11 000 Jahre unserer Geschichte seit der letzten Eiszeit«, erklärt Jantzen. »Aus der Zeit gibt es keine schriftliche Überlieferung.« Zu den kostbarsten Funden im Depot gehören zwei Holzobjekte: das doppelköpfige slawenzeitliche Idol vom Tollensesee bei Neubrandenburg und zwei 3000 Jahre alte Wagenräder, die bei Kühlungsborn aus der Ostsee geborgen wurden und für Norddeutschland eine Rarität sind.
Aber auch scheinbar ewig gleiche Funde können noch nach Jahrzehnten Geheimnisse offenbaren. So seien heute mit Hilfe der DNA-Technik genetische Analysen von Knochen möglich, die Auskunft über Krankheiten, Ernährung und Bevölkerungsstruktur vor Tausenden Jahren geben könnten, sagte Bartel.
Etwa 30 Archäologen graben im Land, rund 300 ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger sichern Schätze. Öffentlich gezeigt wird von den archäologischen Funden kaum etwas. Es fehlt ein Archäologisches Landesmuseum. Gestritten wird darum seit 25 Jahren. Kultusminister Brodkorb will demnächst einen Standort vorschlagen und rechnet noch in diesem Jahr mit einer Entscheidung. dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.