Zwischen Rot und Schwarz
Warum die Grünen sich nicht strategisch entscheiden. Von Marian Krüger und Helge Meves
Angesichts des Rechtsrucks in Deutschland und Europa plädierte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel unlängst in einem Aufsatz im »Spiegel« dafür, dass »progressive Parteien« europaweit »füreinander bündnisbereit und miteinander regierungsfähig« sein müssten. Dieser Vorstoß hat eine mediale Debatte über die bereits totgesagte Chance einer rot-rot-grünen Koalition ausgelöst. Der grüne Fraktionschef Anton Hofreiter zweifelte daraufhin in der Zeit wegen des sprichwörtlichen Zickzack-Kurses des SPD-Chefs, »ob dieser Linksschwenk auch morgen noch gilt.« Die SPD müsse klar sagen, dass »sie sich eine rot-rot-grüne Regierung vorstellen kann, statt sich weiter nur in der großen Koalition einzurichten.« Gabriel reagierte schnell und zuverlässig, wie immer. Schon wenige Tage später stritt er ab, dass er damit für eine Koalition der drei Parteien werben wollte.
Öffnung zur Union bereits 2013
Doch auch Hofreiter dreht Pirouetten, wenn es um eine Koalitionsaussage geht. Während er der SPD eine Absage an eine Koalition mit der Union empfiehlt, will er für die Grünen genau dies »natürlich nicht« ausschließen. Dieser Zickzack-Kurs ist allerdings nichts anderes als die Parteilinie der Grünen, die sich auf ihrem Parteitag im Oktober 2013 offiziell einer Koalition mit der CDU/CSU auch auf Bundesebene geöffnet haben. Seit dem wird in den schwarz-grünen Koalitionen in Hessen und Baden-Württemberg ein politisches Crossover mit den Christdemokraten betrieben, das weit über die Landespolitik hinausreicht.
Im April 2016 nannte Grünen-Parteichef Cem Özdemir als erster Parteivorsitzender der Grünen drei Bedingungen für eine Koalition mit den Christdemokraten. Es geht um den Ausstieg aus der Kohleenergie; und darum, dass sich die Bundesregierung »für einen europäischen Marshallplan für Nordafrika« einsetzt; außerdem dürfe im Bildungssystem die »Frage der Herkunft und des Geldbeutels nicht mehr die entscheidende Rolle spielen.«
Der einzige harte Punkt ist die Energiewende. Die beiden anderen Bedingungen sind Symbolik und haben den Charme, nicht in die Zuständigkeit der Bundesregierung zu fallen. Die Botschaft ist klar: Die Union wird weder mit sozialen Forderungen - von der Steuergerechtigkeit bis zur Rentenpolitik - belästigt noch mit dem Ansinnen, das TTIP-Abkommen zu beerdigen. Von Bürgerrechten und Geschlechterpolitik ganz zu schweigen.
Aber ist Schwarz-Grün angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse und eines ausfächernden Parteiensystems überhaupt eine reale Machtoption jenseits der Debatte im politischen Feuilleton? Gegenwärtig haben CDU und Grüne zusammen zwischen 44 und 46 Prozent in den Umfragen. Das ist von der Mehrheit der Parlamentssitze nicht allzu weit weg. Deswegen agiert der Linke Hofreiter auch so - denn falls es für die Mehrheit mit der Union reicht, darf der linke Flügel im Kabinett und im Regierungsapparat personell nicht unter die Räder kommen.
Schwarz-Grünes Crossover
Weil Union und Grüne materiell saturierte Wählerschichten ohne starkes Solidaritätsverständnis ansprechen, treffen sie sich am ehesten in der Klientelpolitik. Exemplarisch steht dafür das Projekt »Deutschland-Rente«, das die hessischen Landesminister Tarek Al-Wazir (Grüne), Stefan Grüttner und Thomas Schäfer (beide CDU) im Dezember 2015 veröffentlicht haben. Im Kern geht es dabei darum, dass die privaten Zusatzbeiträge der Beschäftigten, die bislang in die Riester-Rente und ähnliche Anlagen fließen, in einen zentralen Rentenfonds eingezahlt werden sollen, der dies nach dem Vorbild des norwegischen Staatsfonds breit in Aktien und anderen Wertpapieren streut und damit eine Rendite von fünf Prozent erwirtschaftet. Angesichts der wachsenden Kritik an der Riesterrente sehen die Autoren Handlungsbedarf, um »das Geld, das … Bürger für ihre zusätzliche Altersvorsorge beiseitelegen, … vor überteuerten Angeboten« zu schützen. Bürger mit Geld vor Verlusten zu schützen, nicht aber die drohende Altersarmut zu bekämpfen - das ist der Plan, der zugleich die Alterssicherung noch stärker von den Kapitalmärkten abhängig machen würde. Das wäre eine weitere Bluttransfusion für die Finanzwirtschaft. Von »FAZ« bis »Wirtschaftswoche« gab es dann auch viel Lob für diese frohe Botschaft.
Ein ähnlich klares Signal, für wen sich Schwarz-Grün bezahlt machen könnte, sendet der Realoflügel in der Steuerpolitik aus. Hier geht es um die Revision des grünen Wahlprogramms von 2013. Die Vermögenssteuer und die Abschaffung des Ehegattensplittings soll von der Agenda verschwinden. Die grüne Steuerpolitik soll nicht mehr an Umverteilungsprinzipien ausgerichtet werden, sondern den Mittelstand fördern und im kommenden Wahlkampf eine möglichst nachrangige Rolle spielen. Damit könnten die Grünen in einer Koalition mit den Christdemokraten den Platz der FDP besetzen. Simone Peter und Anton Hofreiter plädieren zwar weiter für die Vermögensteuer im Wahlprogramm, prominente Vertreter der Realos halten aber dagegen. Auch auf dem »Gerechtigkeitskongress« Mitte Juni 2016 konnte diese grundlegende Differenz in den Gerechtigkeitsvorstellungen der Grünen nicht gekittet werden. Der Rechtspopulismus hatte dort für Cem Özdemir schon irgendwie mit der sozialen Frage zu tun. Aber dieser Kampf soll eben nichts kosten und die linken Grünen mussten sich anhören, dass sie wohl ein »erotisches Verhältnis« zum Thema Steuern haben.
Aus diesen Differenzen erwächst keine Brandmauer gegen das Zusammengehen mit der Union. Als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble unlängst signalisierte, seinen Widerstand gegen staatlich finanzierte Kaufprämien für Elektroautos aufzugeben, kam umgehend Lob vom Grünen-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter. »Wir schlagen schon lange eine Kaufprämie für Elektroautos von 5000 Euro vor.« Heftige Kritik kam dagegen vom CDU- Fraktionsvize Michael Fuchs. Das sei »so ziemlich das Unsozialste, was ich mir vorstellen kann (…) ökologisch sinnvoll ist das auch nicht.« Damit bietet diese Kontroverse zugleich eine für die Union vorteilhafte Rollenverteilung. Die Grünen geben den Part der subventionshungrigen Mittelstandspartei und die CDU/CSU den der Kraft des sozialen Ausgleichs.
Sollbruchstelle Energiewende
Mit dem Kohle-Ausstieg hat Özdemir in seinen Bedingungen für Schwarz-Grün auf eine Sollbruchstelle eine möglichen Bündnisses verwiesen, was in der CDU übrigens genauso gesehen wird. Auch wenn Teile der Wirtschaft verstanden haben, dass man mit grüner Politik gutes Geld verdienen kann, halten sie die Kosten der Energiewende für nicht akzeptabel. Hier geht es nicht nur um die Subventionierung des regenerativen Energiesektors. Es geht um die gesellschaftspolitische Abfederung des technologischen Wandels. Das ist mit einer Partei, die sich aus der Sozialpolitik immer mehr verabschiedet, aus Sicht der Union wahrscheinlich gar nicht so schlecht zu bewerkstelligen. Andererseits wollen die Grünen unbedingt Einschnitte für ihre Klientel vermeiden.
Linke Grüne in der Defensive
Für viele grüne Linke ist Schwarz-Grün nur ein Hebel zur inneren Machtverschiebung in der Partei. In einem offenen Brief linker Grüner vom Februar 2015 warnen über 400 Funktionäre, dass die Partei nur noch als »künftige Koalitionäre der CDU im Wartestand« wahrgenommen wird. Gefordert wird, dass die soziale Frage »unbedingt wieder stärker in den Fokus grüner Politik gestellt werden« müssen, nicht zuletzt wegen der drohende Welle von »Armut per Gesetz.« In einem Kommentar der »taz« wurde diese Botschaft damals weiter zugespitzt: »Sozialpolitik? Geschenkt. Kriegseinsätze? Immer her damit. Reichensteuer? Beerdigt. Die Grünen umarmen die CDU.« Nach dem Kretschmann-Wahlsieg im März 2017 ist dieser Ton erst einmal verschwunden.
Die Wählerschaft der Grünen ist, wie Umfragen zeigen, in der Frage der Koalitionsoption tief gespalten. Eine offensive Strategie pro CDU wäre für die Grünen »lebensgefährlich«, heißt es dazu in einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahre 2004. Eine langsame Annäherung sei viel besser. Deswegen wird gelegentlich ein rot-rot-grüner Vorhang vor den schwarz-grünen Bestrebungen aufgehängt, um Teile der eigenen Wählerschaft nicht zu verprellen. Das gilt natürlich auch für die SPD. Nun drücken Özdemir und Kretschmann auf die Tube. Das ist das Hauptrisiko für Schwarz-Grün, nicht der Widerstand des linken Parteiflügels.
Die LINKE und Schwarz-Grün
Die LINKE kann inzwischen ihr Karl-Liebknecht-Haus mit den Kooperationsangeboten, die sie in den letzten zehn Jahren der SPD und den Grünen gemacht hat, tapezieren. Nach der SPD driften nun auch die Grünen immer stärker in den politischen Gravitationsbereich der Union ab. Sollte die LINKE den Diskurs über rot-rot-grüne Gemeinsamkeiten einstellen, würde diese Lage nur noch weiter stabilisiert werden. Und bei den Grünen wäre das der Rückenwind, der den Realos noch zum Durchmarsch fehlt.
Die LINKE war immer stark in der Analyse der Folgen von großen Koalitionen. Nun muss der Scheinwerfer auf das schwarz-grüne Crossover und seine Konsequenzen gerichtet werden.
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