Wer die Saat hat, hat die Macht

Überall auf der Welt engagieren sich Menschen für das Recht auf selbsterzeugtes Saatgut

  • Kerstin Ewald
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Forderung vieler Aktivisten für die Artenvielfalt greift nicht nach den Sternen, sondern klingt realpolitisch: Parallel zum geregelten Markt mit zertifiziertem Saatgut fordern sie einen »ungeregelten«.

»Für jedes beschlagnahmte Samenkorn sorgen wir dafür, dass ein neues keimen, sich vermehren und frei mit den Bauern über die kolumbianischen Felder wandern kann.« So drohten 80 bäuerliche und soziale Organisationen Kolumbiens im Jahr 2013, nachdem man ihnen verboten hatte, eigenes Saatgut auszubringen.

Was war passiert? Selbsterzeugtes Saatgut auszubringen war über Nacht illegal geworden. Gesät werden durfte nur noch, was vorher beim nationalen Institut für Landwirtschaft zugelassen worden war. Eben dieses Institut vernichtete nun mit Hilfe der Armee Tausende Tonnen Mais-, Kartoffel-, Reis- und Weizensaatgut. Es stützte sich dabei auf die neue nationale »Richtlinie 970«, welche die kolumbianische Regierung im Dienste von Freihandelsabkommen mit den USA und der EU erlassen hatte.

Die wütenden kolumbianischen Bauern und Bäuerinnen ließen sich das nicht gefallen. In Allianz mit anderen sozialen Bewegungen organisierten sie landesweite Streiks und erreichten, dass die verhasste »Richtlinie 970« wieder aufgehoben wurde. Heute dürfen die Kleinbäuerinnen ihren unzertifizierten Samen wieder ausbringen, ihn jedoch nicht, wie früher, verkaufen. Was den Handel von Saatgut angeht, haben auch in Kolumbien die großen Konzerne gesiegt.

Dieses und viele andere Beispiele einer weltweiten Saatgutbewegung schildert die Autorin Anja Banzhaf in ihrem lesenswerten Kompendium »Saatgut«. In Indien, auf den Philippinen, in Kenia, überall auf der Welt kämpfen Menschen dafür, dass zumindest ein Teil des Saatgutes in bäuerlicher Hand bleibt. Banzhaf spricht von wachsendem Widerstand in Ländern, die noch über intakte kleinbäuerliche Saatgutvermehrung verfügen. Aber auch in den Teilen Europas, in denen sich die Erwerbsbauern und - bäuerinnen schon längst an ihre Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen gewöhnt haben, regt sich Protest. Banzhaf erzählt von ihren Streifzügen zu Initiativen, die sich alle um Erhalt und Weiterentwicklung von Samen bemühen: »Reclaim the Seeds« (»Fordert die Samen zurück«) in den Niederlanden, »Seedy Sunday« (»Samensonntag«) in Großbritannien, das Peliti-Saatgutfest in Nordgriechenland, Samen-Tauschbörsen in Deutschland.

In vielen Ländern, auch in Deutschland und Österreich, stehen der Basisbewegung von Gärtnerinnen und Gärtnern recht schlagkräftige Promotoren zur Seite, die sich auf das Handwerk der Lobbyarbeit verstehen und auf EU-Ebene agieren. Die österreichische Arche Noah unterhält ein Samenarchiv von circa 6 000 verschiedenen Kulturpflanzensorten, setzt sich seit 25 Jahren für den Erhalt und die Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt ein und gehört laut österreichischer Arbeitskammer zu den Top 10 österreichischer Lobbyisten in Brüssel.

In der »Kampagne für Saatgut-Souveränität« sind auch Bauern und Bäuerinnen der Longo-Mai-Kooperativen aktiv. Auf der Internetseite der Kampagne können Interessierte beispielsweise Samentauschbörsen in ihrer Nähe finden. Die Kampagne widmete sich intensiv dem Kampf gegen die EU-Marktordnung, die nur Saatgut nach äußerst beschränkten Kriterien zulässt (DUS-Kriterien: siehe Kasten). Dabei hat sie es bereits geschafft, unterschiedliche Aktivisten an einen Tisch zu bringen, die mit Gruppen aus ganz Europa die weitere Verschärfung der EU-Saatgutgesetze verhinderten.

Den fünfzigsten Jahrestag der EU-Saatgutrichtlinie nimmt Andreas Riekeberg von der Kampagne zum Anlass, die Forderung nach Sortenvielfalt zu verbreiten: »Das Handelsverbot für Saatgut von nicht zugelassenen Sorten weg muss! Außerdem dürfen Staaten in Lateinamerika oder Afrika nicht zu industriekonformen Saatgut-Gesetzen gedrängt werden!«

Warum aber setzten sich alle diese Menschen dafür ein, dass Saatgut in bäuerlicher Hand bleibt? Angst vor Abhängigkeiten? Tradition oder gar rückwärtsgewandte Romantisierung des bäuerlichen Lebens?

Die kleinbäuerliche - stark von indigenen Gruppen mitgeprägte - Organisation Via Campesina wendet sich weder gegen Arbeitsteilung und Spezialisierung, noch gegen Maschinen, die den bäuerlichen Alltag erleichtern. Viele Bauern und Bäuerinnen wollen oder können aber nicht jedes Jahr neues Saatgut kaufen. Die meisten verfügen nicht über die Ressourcen, ihre Samen einem Zertifizierungsprozess zu unterziehen, zumal das zu Hause gezogene Gut in der Regel nicht den offiziellen Kriterien entspricht.

Mit 164 Mitgliedsorganisationen in 73 Ländern ist Via Campesina ein riesiges Netzwerk, das seit seiner Gründung 1993 gegen Freihandel aktiv ist. Nichtsdestotrotz, wie am Beispiel Kolumbien exemplarisch geschildert wurde, werden Zertifizierungsnormen im Gepäck von Freihandelsabkommen in immer mehr Ländern in nationale Gesetze gegossen.

Via Campesina hat auch den heute viel zitierten Begriff der »Ernährungssouveränität« geprägt und erstmals auf dem Welternährungsgipfel 1996 erklärt, was damit gemeint ist: Das »Recht der Menschen auf gesunde, mit nachhaltigen Mitteln produzierte Ernährung, die der jeweiligen heimischen Tradition« entspricht. Die Forderung nach »Ernährungssouveränität« geht damit über den in den 60er Jahren geprägten Begriff der »Ernährungssicherheit« hinaus, der heute im entwicklungspolitischen Diskurs immer noch vorherrschend ist.

Eng mit dem Konzept der Ernährungssouveränität ist wiederum der Leitgedanke der Artenvielfalt von Kulturpflanzen verknüpft. Um die Fähigkeit von Pflanzen, sich an geografische und klimatische Bedingungen anzupassen, nutzen zu können, muss die Vielfalt der Sorten erhalten und weiterzuentwickelt werden. Für die Ernährung der Menschheit - so das Argument der Saatgutbewegung - ist die Artenvielfalt unverzichtbar. Sie ist aber seit den 60er Jahren durch die Zucht hybrider, unfruchtbarer Sorten und deren mächtige Verbreitung durch Konzerne stark bedroht.

Viele Saatgutaktivisten und ihre Organisationen machen sich indes keine Illusion über die realen Kräfteverhältnisse im Felde der Vermehrung und des Handels von Saatgut. Ihre Forderung greift nicht nach den Sternen, sondern klingt realpolitisch: Zusätzlich zum geregelten Markt, des zertifizierten Saatgutes, soll parallel ein »ungeregelter« Markt für Samen existieren dürfen. Und vielleicht ist es dafür noch nicht zu spät. Denn »so riesig der Einfluss der Konzerne auch sein mag - noch haben sie keine globale Kontrolle über das Saatgut«, meint Anja Banzhaf und tröstet mit einer Zahl: Immerhin rund 75 Prozent des weltweiten Saatgutes würden noch informell produziert, verschenkt, getauscht und auch gehandelt.

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