Keine Brexit-Antworten auf dem Gipfel in Brüssel
EU-Staaten stritten über Führung der Verhandlungen mit London
So schnell ging kaum ein EU-Gipfel der vergangenen Jahre zu Ende. Schon nach dem Abendessen am Dienstag war alles vorbei. Die erwarteten Beschlüsse zu Einwanderung, Wirtschaft und Außenbeziehungen standen fest. Großbritanniens Premierminister David Cameron hatte seine Kollegen über den Ausgang des Brexit-Referendums informiert. Man stritt kurz darüber, in professionellem Ton, wie es hieß. Damit waren alle Gipfelthemen abgehakt. Cameron gab wie immer eine Pressekonferenz und verschwand zurück ins Königreich. Die anderen EU-Staats- und Regierungschefs blieben in Brüssel. Sie wollten noch ein wenig intensiver über das Brexit-Votum und seine Folgen sprechen, bewusst ohne Großbritannien.
Zwei Fragen standen bei diesem offiziell als »informell« bezeichneten Treffen im Zentrum: Was machen wir künftig mit Großbritannien? Und: Wie können wir die EU wieder attraktiver gestalten, um eine Wiederholung des britischen Neins in anderen EU-Staaten zu vermeiden? Auf keine Frage gab es klare Antworten. Beim Umgang mit Großbritannien lag das daran, dass zunächst die Briten selbst handeln müssen. Erst wenn Cameron oder sein Nachfolger auf Grundlage von Artikel 50 des Lissabon-Vertrags ein offizielles Austrittgesuch stellt, kann etwas konkret werden. Wann und ob überhaupt Artikel 50 aktiviert wird, ist aber völlig offen. Cameron gab erneut zu Protokoll, dass er keine Eile sehe und alles seinem Nachfolger überlassen wolle. Die EU ihrerseits kann London zu nichts zwingen. Ergebnis: große Unsicherheit. Das ist wie bei »Warten auf Godot«, verglich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Lage mit dem gleichnamigen Stück von Samuel Beckett - ein Stück, das zur Kategorie »Absurdes Theater« gehört.
Etwas ähnliches führten die 27 aber auch selbst auf. Hinter verschlossenen Türen gab es Streit darüber, wer die Verhandlungen mit Großbritannien leiten soll, Juncker oder sein Amtskollege im Rat, der Pole Donald Tusk. Mehrere osteuropäische Staaten, angeführt von Warschau, wollten Tusk in der Frontlinie sehen. Warum? Weil dann ihr Einfluss auf die Verhandlungen größer sein werde, als wenn Juncker im Grunde nur das entscheide, was ihm Bundeskanzlerin Angela Merkel zuvor eingeflüstert habe, hieß es unter vorgehaltener Hand. Polen beharrte hartnäckig auf diesem Punkt. Nichts wurde entschieden.
Eine andere Frage war, was mit der britischen EU-Ratspräsidentschaft geschehen soll. Sie ist für die zweite Jahreshälfte 2017 vorgesehen, wahrscheinlich mitten in den Verhandlungen über die Austrittsbedingungen. Eine gute Idee? Die Antwort blieb aus. Ebenso wie die nach einem Nachfolger für den bereits zurückgetretenen britischen EU-Kommissar Jonathan Hill. Soll wieder ein Brite das Amt ausfüllen, das den Briten ja eigentlich zusteht?
Immerhin in einem Punkt konnten sich die 27 schnell einigen. Über alles soll nämlich weiter gesprochen werden auf einem nächsten informellen Treffen am 16. September. Nicht in Brüssel, sondern in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Die Slowaken haben dann den EU-Ratsvorsitz.
An der Donau werden die 27 auch über den zweiten Punkt weiter diskutieren - welche Lehren aus dem Sieg des Brexit-Lagers zu ziehen sind. Fast jeder hat dabei andere Vorstellungen. Belgiens Premierminister Charles Michel zum Beispiel plädierte eindeutig für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten mit einem Kerneuropa, das die Integration vorantreiben solle. Polen und einige andere osteuropäische Staaten zogen in die entgegengesetzte Richtung. Weniger Europa führe zum Ziel. Dafür sollten auch die EU-Verträge geändert werden. Merkel wollte das ausdrücklich nicht.
Auf der Abschlusskonferenz pflichtete Juncker der Bundeskanzlerin bei. Besser als Reformen sei es, bestehende Regeln tatsächlich umzusetzen.
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