30 000 neue Kita-Plätze sind nötig
Jugendstadtrat Michael Grunst über marode Gebäude und schlecht bezahlte Erzieher
Die Kitasituation in Treptow-Köpenick und Neukölln ist verheerend, sagen Sie: ein Sanierungsstau von 22 Millionen Euro, 70 unbesetzte Erzieherstellen, 500 unbesetzte Kitaplätze. Gleichzeitig fehlen Ihnen bis Ende 2017 über 4000 Kitaplätze. Wie ist das passiert?
Wir hatten vor kurzem eine sehr harte Diskussion unter Stadträten: Die Innenstadtbezirke haben klar gemacht, dass sie kaum noch Grundstücke finden, um neu zu bauen. Darauf sind wir aber angewiesen, wir haben einen riesigen Kitaplatz-Bedarf.
Zweitens gibt es Kitas, die baufällig sind. Da sind teilweise Wasserhähne und Fenster von vor 25 Jahren drin. Das Kita-Kostenblatt, über das sich freie Träger und Eigenbetriebe finanzieren, ist inzwischen so eng genäht, dass sich daraus kaum noch große bauliche Maßnahmen oder Investitionen abzweigen lassen.
Drittens haben wir einen großen Fachkräftemangel. Allein in Treptow-Köpenick können wir 150 Kita-Plätze nicht belegen, weil es keine Erzieher gibt. Das große Problem ist die Bezahlung. Fakt ist, dass Erzieher nur über die Stadtgrenze gehen müssen, um 300 Euro mehr im Monat zu bekommen. Das Land steht zudem in Konkurrenz mit Bundesbehörden mit anderen öffentlichen Einrichtungen. Wir sind da am Ende der Nahrungskette.
Was fordern Sie vom Senat?
Eigenbetriebe und freie Träger brauchen Geld, um in den Bestand zu investieren. Jeder Häuslebauer weiß: Wo ein Haus ist, muss Geld investiert werden. Wenn man das über Jahre schleifen lässt, kommt es zu einem riesigen Investitionsstau. Wir fordern, dass Erzieher von Anfang an in eine höhere Erfahrungsstufe eingruppiert werden. Insgesamt nützt diese Flickschusterei jedoch wenig, weil der Tarifvertrag einfach schlecht ist. Er ist ein wirklicher Standortnachteil. Deshalb muss das Land einen besseren Tarifvertrag anbieten.
Die Bildungsverwaltung hat als Reaktion auf die neue Prognose des Bevölkerungswachstums die Zahlen zur Kitaentwicklung nach oben korrigiert - bestärkt Sie das in Ihrer Kritik?
Bis 2020 brauchen wir 30 000 neue Kita-Plätze, das sind durchschnittlich 20 neue Kindertagesstätten pro Bezirk. Jeder neu gebaute Platz kostet rund 30 000 Euro, das sind 900 Millionen Euro, allein für die Schaffung der Plätze. Das ist natürlich der Hammer.
Ich bin noch nicht überzeugt, dass der Senat einen Plan hat, wie er das finanziell stemmen will. Es darf nicht zu einer wirtschaftlichen Überforderung der freien Träger und Kita-Eigenbetriebe kommen. Der Staat muss für den Kita-Ausbau vielmehr massiv Geld in die Hand nehmen.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagt, niemand konnte ahnen, dass so viele Flüchtlinge nach Berlin kommen. Alles eine unvorhersehbare Entwicklung?
Flüchtlinge sind schon immer gekommen, im vergangenen Jahr nur verstärkt. Auch ohne Flüchtlinge hätten wir die riesige Herausforderung, Kitaplätze zu schaffen. Wir wollen, dass Kinder von Flüchtlingsfamilien in die Kita gehen, wo sie spielerisch Deutsch lernen. Es entstehen soziale Kontakte mit anderen Menschen, da gelingt Integration. Insofern ist das ein Wunsch und kein Problem, Flüchtlingskinder in Kitas unterzubringen.
Sie fordern auch ein eigenes Ausbildungsinstitut der Kitaeigenbetriebe für Erzieher. Was wäre der Vorteil gegenüber der Ausbildung an Fachhochschulen, wie sie jetzt organisiert ist?
Bis 2020 brauchen wir tausende zusätzliche Erzieher. Der Senat will den Betreuungsschlüssel verbessern - auch dafür braucht es mehr Pädagogen. Das schafft man mit den vorhandenen Kapazitäten nicht. Die Geschäftsführer der Kita-Eigenbetriebe diskutieren nun, ob sie nicht eigene Ausbildungskapazitäten schaffen. Das finde ich richtig.
Kommen Ihre Kollegen in anderen Bezirken eigentlich auf ähnliche Zahlen?
Es wäre mal spannend, den Sanierungsbedarf von Kitas feststellen zu lassen. Ich kenne da keine berlinweite Zahl. Das wäre aber wichtig, um den Bestand zu sichern. Überall bestätigen die Kollegen, dass es einen großen Investitionsbedarf gibt. Da muss man doch ehrlich sagen: Leute, wir müssen noch eine Schippe drauflegen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.