Der Norden macht sich Brexit-Sorgen
Nach dem Votum in Großbritannien werden in Schweden und Dänemark europakritische Kettenreaktionen befürchtet
Schwedens sozialdemokratischer Ministerpräsident Stefan Löfven teilt Deutschlands besorgte, aber harte Haltung zum Brexit: »Wir respektieren den Beschluss. Aber er ist ein Aufwachsignal für Europa. Es ist besorgniserregend, es wird große Konsequenzen haben«, sagte er. Auch Löfven betont, dass die Briten keinen EU-Binnenmarktzugang erhalten sollten, wenn sie die Personenfreizügigkeit nicht akzeptieren.
Obwohl fast alle schwedischen Parlamentsparteien der Europäischen Union (EU) gegenüber positiv eingestellt sind, werden Kettenreaktionen befürchtet. Bei einem Brexit würde mit 36 Prozent auch eine Mehrheit der Schweden im Fall eines eigenen Referendums für einen EU-Austritt stimmen und nur 32 Prozent für einen Verbleib, ergab eine Umfrage vom April. Vor allem die bislang auf das Thema Einwanderung setzenden Schwedendemokraten könnten nun mit EU-Feindlichkeit ein weiteres populäres Thema hinzugewinnen.
Auch europapolitisch hat der Brexit Folgen: Die Nicht-Euroländer Schweden und Dänemark verlieren mit den Briten einen Verbündeten in der EU, der ebenfalls seine eigene Währung behalten hat, Nettozahler ist, und bei Abstimmungen oft mit ihnen stimmte.
Dänemarks rechtsliberaler Premier Lars Lökke Rasmussen sagte zum Brexit: »Wir müssen die Wahl der Briten respektieren. Gleichzeitig kann ich nicht leugnen, dass es sehr traurig für Europa und Dänemark ist.« Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei (DF), welche Rasmussens Minderheitsregierung indirekt stützt, und vor seiner Partei zweitstärkste Kraft des Landes ist, sprach hingegen von einem »großen Sieg des britischen Volkes«.
Bereits bei der Europawahl 2014 haben die Dänen der EU eine klare Absage erteilt, indem sie die DF noch weit vor den Sozialdemokraten zur stärksten Partei machten. Nun fordert die DF, dass auch Dänemark ein Referendum abhalten muss. Die Partei hat ihre EU-skeptische Linie damit verschärft. Bislang hat sie die Mitgliedschaft nicht infrage gestellt. Premier Rasmussen konterte: Mit ihm werde es kein Referendum geben. Doch sein Außenminister Kristian Jensen schlägt bereits skeptischere Töne an: Es sollte weniger Interferenzen zwischen den Sozialsystemen der Mitgliedsländer geben und »mehr Respekt für Länder, die eigene Wege gehen wollen«, sagte er über die EU.
Zumindest im Euroland Finnland sieht man den Austritt der Briten etwas gelassener - trotz der dortigen Wirtschaftskrise. Mächtige EU-Gegner gibt es derzeit nicht im Land. Der bürgerliche Ex-Premier und derzeitige Finanzminister Alexander Stubb steht für eine weichen Kurs Großbritannien gegenüber. Er hofft, dass die Briten einen ähnlichen Status wie die Norwegen erhalten werden: Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und damit ein Land, das sehr eng an die EU assoziiert ist. »Wenn Großbritannien Zugang zum Binnenmarkt für Waren, Dienstleistungen und Kapital haben möchte, muss es auch beim freien Verkehr von Arbeitskräften mitmachen. So wie Norwegen. Das ist nicht das, was sie wollen, aber so ist es nun mal«, sagte Stubb. Der Finanzminister betonte überdies, dass Norwegen darüber hinaus 400 Millionen Euro jährlich in den EU-Haushalt einzahlt. An Abstimmungen darf es hingegen nicht teilnehmen. Am Freitag meldete sich auch Finnlands Ministerpräsident Juha Sipilä zu Wort. Er forderte, dass Großbritannien bei einem Abkommen mit der EU keine Sonderrechte eingeräumt werden.
In den baltischen EU-Ländern und Ex-Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen fürchtet man den Brexit vor allem aus sicherheitspolitischen Gründen. »Russlands Aggression in der Ukraine wird nicht mehr im Fokus der EU-Interessen stehen, denn alle Ressourcen werden nun für den Austritt Großbritanniens gebraucht. Auch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die kurz vor dem Referendum verlängert und von den Briten am stärksten unterstützt wurden, könnte Brüssel schon im Herbst mildern«, befürchtet etwa die lettische Zeitung »Neatkarigä«.
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