Löw jubelt, Conte warnt Italien
Die DFB-Elf feiert im Viertelfinale einen historischen Erfolg mit 6:5 im Elfmeterschießen
Immer wieder sprach Joachim Löw in den vergangenen zwei Jahren davon, am Samstagabend besonders nachdrücklich. »Es war dringend notwendig« sagte er und wiederholte: »Dringend notwendig.« Der Bundestrainer meinte seine Umstellung in der Abwehr auf eine Dreierkette. Nur so habe man Italien im Viertelfinale bezwingen können. Im Großen bezog sich Löw auf die Weiterentwicklung des Systems und seiner Mannschaft, an der er seit dem Erfolg bei der WM 2014 arbeitet. »Wir können nicht immer nur dasselbe spielen, da werden wir auch für die Gegner zu ausrechenbar.«
In Bordeaux funktionierte es. Einen Sieg bei einem Turnier gegen eine italienische Nationalelf kann sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zwar auch noch nicht in seine Statistik schreiben - die Partie endete offiziell nach 120 Minuten 1:1. Der Erfolg mit 6:5 nach dem Elfmeterschießen ist dennoch ein historischer: Zum ersten Mal setzte sich eine DFB-Auswahl bei einer WM oder EM in einem K.o.-Spiel gegen Italien durch.
»Es war ein geiles Spiel«, freute sich Mats Hummels: »Im Nachhinein!« Denn vor allem für die Abwehr war es eine anspruchsvolle Partie. Hummels, Jerome Boateng und Benedikt Höwedes bildeten die Dreierkette. In der Defensivbewegung wurde daraus meist eine Fünferkette, die beiden Außenbahnspieler - Jonas Hector links und Joshua Kimmich rechts - wurden dann zu Außenverteidigern. Allzu oft hat das die Nationalelf noch nicht gespielt, und dann meist nicht besonders souverän. Aber Löw war sich sicher: »Wir mussten das Zentrum zumachen«, erklärte er nach dem Spiel, »das war nach dem Spiel der Italiener gegen Spanien mein erster Gedanke.«
Die Wirkung der Umstellung wurde vor allem am Spiel des Gegners sichtbar. Nur zwei wirklich gefährliche Chancen gestattete die DFB-Elf den Italienern. Bezeichnenderweise fiel der Ausgleich durch Leonardo Bonucci (78.) vom Elfmeterpunkt. Im Gegensatz zum überzeugenden Achtelfinalsieg gegen Spanien quälte sich Italien in der Offensive. Raum für Angriffe gab es selten, und wenn, dann auf dem linken Flügel, wo Kimmich und Höwedes einige Abstimmungsprobleme auf ihrer Abwehrseite hatten.
Der Abschied aus Frankreich fiel vor allem Antonio Conte schwer: »Die Enttäuschung ist natürlich groß.« Nach zwei Jahren hört er als Nationaltrainer auf. Conte übernimmt den FC Chelsea, sein Nachfolger Giampiero Ventura tritt ein schweres Erbe an. Denn was der 46-Jährige mit dem Team bei der EM erreichte, hatten ihm nur wenige zugetraut. Abgesehen von der in die Jahre gekommen Abwehr mit Torwart Gianluigi Buffon (38) sowie den Verteidigern Andrea Barzagli (35), Giorgio Chiellini (bald 32) und Leonardo Bonucci (29) ist Italiens Elf eine der Namenlosen. Die erfolgreiche EM-Qualifikation vor den Kroaten sowie die Siege bei der EM gegen Belgien und Spanien erklärte Conte mit dem hervorragenden Teamgeist. »Die einzige Chance, die wir haben, ist wie ein Klubteam zu sein, das immer zusammenspielt und zusammenhält. Wir sind nicht eine Auswahl von Spielern, wir sind eine Mannschaft.«
In der Motivation, »alles für Italien zu geben, weil das ganze Land hinter uns steht«, sieht Conte einen weiteren Grund für unerwartet starke Auftritte. Die Verbindung zur Heimat ist bei Italiens Fußballern eine besondere: Von den 14 im Viertelfinale eingesetzten Spielern verdienen zwölf ihr Geld in der Serie A. Ein Gütesiegel ist das nicht mehr. Einzig Juventus Turin kann in Europa noch mithalten. Dass andere Nationen bessere Fußballer haben, weiß Conte. »Da gäbe es sicherlich einige«, antwortete er auf die Frage, welche deutschen Spieler er sich in seinem Team vorstellen könne. Aber: »Ich würde keinen meiner Spieler eintauschen wollen. Ich weiß, dass sie meine Idee unterstützen und für mich durchs Feuer gehen würden.«
Diese Einheit gibt es nun nicht mehr, die »Squadra Azzura« muss fortan ohne Conte auskommen. Wenn man ihm glaubt, wird die Zeit nach ihm schwer: »Wir müssen uns alle bewusst werden, dass es derzeit kein einfacher Moment für den Calcio ist. Wir haben ein Generationsproblem, der Fußball bringt kaum neue Talente hervor.« Aber vielleicht kommt er ja bald wieder? »Es ist kein Adieu, sondern ein auf Wiedersehen.« Mit diesen Worten verabschiedete sich Antonio Conte.
Für Joachim Löw geht die Reise weiter. Am Donnerstag trifft er mit der DFB-Auswahl in Marseille auf den Sieger des Viertelfinals Frankreich - Island (nach Red.). Und er geht davon aus, dass die Gastgeber der Gegner sein werden. »Frankreich ist eine ganz andere Mannschaft, mit anderen Qualitäten und einem anderen Stil«, blickte Löw schon mal voraus.
Umstellen muss Löw dann zwangsweise. Mats Hummels ist gesperrt. Sami Khedira fällt für den Rest der EM verletzt aus. Ob Mario Gomez wieder fit sind, ist nicht sicher. Ob er mit einer Dreier- oder doch mit einer Viererkette in der Abwehr spielen lassen wird, darauf wollte er sich noch nicht festlegen.
Aus dem Spiel gegen Italien nimmt Löw viel Selbstvertrauen mit. Im Halbfinale der EM 2012 opferte er noch die eigene Spielidee, nur um die Stärken des Gegners zu bekämpfen. Italien gewann. Diesmal variierte er auch, setzte aber darauf, das eigene, dominante Spiel auf den Platz zu bringen. Nicht nur das schön heraus gespielte Tor von Mesut Özil (65.) spricht dafür, sondern auch 26 »Rettungstaten« der italienischen Abwehr - doppelt so viele, wie das eigene Team benötigte.
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