Black Lives Matter: Gilt auch für das US-Wahlsystem
Harald Neuber über die strukturelle Benachteiligung ethnischer Minderheiten
Der Wahlkampf in den USA ist und bleibt von Personen bestimmt. Der mediale Rummel um den Präsidentschaftsanwärter der Republikanischen Partei, Donald Trump, ist zwar abgeebbt. Doch auch mit Blick auf die Demokratische Partei geht es in der Berichterstattung gemeinhin mehr um Personen als um Programmatik. Gezeigt hat sich das zuletzt beim Schulterschluss zwischen Bernie Sanders und Hillary Clinton. »Zusammen sind wir stärker«, lautete das Motto des gemeinsamen Auftritts am Dienstag in einer High School im US-Bundesstaat New Hampshire. Dabei trennten die beiden Politiker der Demokratischen Partei bislang viele Programmpunkte; in der Sozial- und Bildungspolitik und durchaus auch in der Außenpolitik. Sanders wird nun unter Beweis stellen müssen, dass ihm die Gratwanderung gelingt: die Unterstützung für Clinton einerseits und sein Versprechen, eine außerparlamentarische Reformbewegung zu schaffen, andererseits.
Die von Sanders bislang geforderte Demokratisierung der politischen Struktur der USA drängt vor allem in Bezug auf das Wahlsystem selbst. Die Polizeigewalt gegen ethnische Minderheiten ist nur eine Seite des strukturellen Rassismus in den USA. Die oft tödlichen Übergriffe gegen Angehörige ethnischer Minderheiten, meist Afroamerikaner, hat eine Debatte provoziert, weil sie über Handyvideos fast live verbreitet werden können. Aus dem so aufgebauten emotionalen Druck fußt die Black-Life-Matters-Bewegung (zu Deutsch etwa: Auch schwarzes Leben zählt). Aber was ist eigentlich mit den Stimmen der Afroamerikaner und der US-Bürger mit asiatischen oder lateinamerikanischen Wurzeln?
Erinnern Sie sich noch an die »Präsidentschaftswahl« in den USA im Jahr 2000? Die Anführungszeichen hier haben einen Grund: Damals erklärte eine republikanische Mehrheit der Richter am Obersten Gerichtshof George W. Bush zum Sieger - mit nur 537 Stimmen im Bundesstaat Florida. Dort hatte Jeb Bush, der Bruder des späteren Kriegspräsidenten, als amtierender Gouverneur zuvor jedoch zehntausende wahlberechtigte Afroamerikaner aus den Wählerverzeichnissen entfernen lassen. Gouverneur Bush hatte seine Innenministerin Katherine Harris angewiesen, Farbige unter dem Vorwand aus den Wählerverzeichnissen zu entfernen, sie seien verurteilte Kriminelle. Tatsächlich ließen sich diese Vorwürfe damals nicht nachweisen. Bei der Aberkennung des Wahlrechtes blieb es dennoch.
Zahlreiche Experten wie der Jurist und Aktivist Bobby Kennedy Jr. verweisen auf diese vorsätzliche und massenhafte Ausgrenzung von Angehörigen ethnischer Minderheiten bei Wahlen in den USA. Weshalb diese Strategie vor allem von Republikanern angewandt wird, ist offensichtlich: Rund drei Viertel der US-Bürger mit asiatischen Wurzeln haben für Barack Obama votiert, unter den Afroamerikanern betrug die Zustimmungsrate 90 Prozent. Das Absurde ist, dass die großen Parteien die Säuberung der Wahlregister völlig legal betreiben können. Dabei werden allerlei kuriose Begründungen angeführt. Mal heißt es - wie vor 16 Jahren in Florida -, die Wahlberechtigten hätten sich strafbar gemacht. Oder es wird behauptet, sie würden zwei Mal abstimmen oder sie hätten eine falsche Adresse angegeben. Eine jüngere Methode ist der Vergleich von Wahllisten unterschiedlicher Staaten. Doppelt sich ein Name, kann er allein aufgrund des Verdachts, es handele sich um die gleiche Person, gestrichen werden. So verlieren vielleicht zwei Maria Hernández’ ihr Stimmrecht.
Untersucht hat diese systematische Unterdrückung von Stimmen und die massenhafte Aberkennung des Wahlrechtes der New Yorker Investigativjournalist Greg Palast. Er verweist darauf, dass zwar vor allem die Republikaner ein Interesse daran haben, ethnischen Minderheiten das Recht auf demokratische Teilhabe zu verweigern. Doch auch Politiker der Demokraten manipulieren die Wahlverzeichnisse, wenn es ihren Zwecken dient. Bei den Vorwahlen der Demokraten in New York waren 126 000 Stimmen aus den Wählerlisten verschwunden. »Niemand hatte eine gute Erklärung dafür, aber es ist klar, dass die meisten dieser Wähler Bernie Sanders bevorzugten«, sagt Palast, von dem gerade auf Deutsch ein Buch zum Thema erschienen ist (Gern geschehen, Mr. President!, Haffmans & Tolkemitt). Palasts Resümee: »Die USA haben nie eine politische Kultur entwickelt, in der alle Parteien die Unantastbarkeit von Wahlen respektieren.«
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