Anschlag in Nizza: 84 Tote, über 200 Verletzte
Mutmaßlicher Täter des Anschlags war polizeibekannt / Zwei Berliner Schülerinnen unter den Opfern
Berlin. Am Abend des Nationalfeiertags ist Frankreich erneut zum Ziel eines schweren Anschlags mit vielen Toten geworden: Ein Lkw-Fahrer steuerte sein Fahrzeug am Donnerstagabend auf der Uferpromenade in Nizza ungebremst in eine Menschenmenge, die dort das Feuerwerk zum Abschluss des Feiertags verfolgt hatte. Mindestens 84 Menschen wurden getötet, darunter zehn Kinder. Weitere 200 Menschen wurden verletzt, darunter befinden sich 52 Menschen in Lebensgefahr. Präsident François Hollande bezeichnete die Tat als »terroristisch«. Er kündigte eine Verlängerung des Ausnahmezustands und die Einberufung von Reservisten an.
Nach Schilderungen von Polizei und Augenzeugen ging der Fahrer des Lastwagens mit großer Kaltblütigkeit vor: Er raste auf dem Strandboulevard Promenade des Anglais mit hoher Geschwindigkeit in eine Menschenmenge und setzte seine Fahrt noch rund zwei Kilometer fort, ehe die Polizei ihn erschoss. Hinter sich ließ er eine Spur der Verwüstung. Auf der Uferpromenade lagen nach der Attacke dutzende Tote aufgereiht, bedeckt von weißen Tüchern.
»Wir sahen, wie Leute getroffen wurden und wie Gegenstände umherflogen«, berichtete AFP-Journalist Robert Holloway, der sich zu dem Zeitpunkt vor Ort befand. Die Menschen rannten in Panik auseinander. »Die Leute haben geschrien«, sagte Holloway. »Es war das absolute Chaos.« Innenminister Bernard Cazeneuve sagte, es seien 80 Menschen getötet worden. Es gebe 18 Schwerstverletzte. Unter den Toten sind nach Hollandes Worten mehrere Kinder.
Mutmaßlicher Täter: 31-jähriger Franko-Tunesier
Im Tatfahrzeug wurden die Ausweispapiere eines im tunesischen Sous geborenen Franzosen gefunden. Die Papiere seien auf einen in Nizza gemeldeten 31-Jährigen ausgestellt, erfuhr AFP aus Polizeikreisen. Er sei bei den Geheimdiensten nicht als möglicher Gefährder geführt worden, sagte der mit den Ermittlungen betraute Pariser Staatsanwalt François Molins am Freitag bei einer Pressekonferenz in Nizza. Der mutmaßliche Täter mit Wohnsitz in Nizza sei aber im März wegen Bedrohung, Gewalt, Diebstahls und Sachbeschädigung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Seine Wohnung in einem Vorort von Nizza wurde von den Ermittlern durchsucht. Die Ex-Frau des Angreifers wurde festgenommen. Die Frau befinde sich in Polizeigewahrsam, verlautete am Freitag aus Polizeikreisen.
Der Täter war allein in dem Lastwagen. Nach Angaben des französischen Innenministeriums suchen die Ermittler aber unter Hochdruck nach möglichen Hintermännern der Tat. In Nizza und anderen Städten gab es deshalb Polizeieinsätze. In dem Lkw wurden eine nicht funktionsfähige Handgranate und Waffenattrappen gefunden. Regionalpräsident Christian Estrosi hatte zunächst gesagt, der Täter habe schwere Waffen bei sich gehabt.
Hollande verlängert Ausnahmezustand
Der Präsident wandte sich noch in der Nacht in einer Fernsehansprache an die Nation, die in den vergangenen Monaten von einer ganzen Serie von Anschlägen verunsichert wurde. Der »terroristische Charakter« des Angriffs könne nicht geleugnet werden, sagte der sichtlich erschütterte Präsident. »Ganz Frankreich ist vom islamistischen Terrorismus bedroht.« Hollande sagte weiter: »Wir müssen alles tun, um gegen die Geißel des Terrorismus kämpfen zu können«, sagte er. »Wir werden jene zur Rechenschaft ziehen, die uns auf unserem eigenen Boden angreifen.« Er stellte in Aussicht, den Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien zu verstärken.
Der nach den Pariser Anschlägen vom 13. November 2015 verhängte Ausnahmezustand solle erneut um drei Monate verlängert werden, kündigte der Präsident an. Noch am Vortag hatte Hollande davon gesprochen, den ursprünglich Ende Juli auslaufenden Notstand nicht weiter zu verlängern. Konservative Abgeordnete aus Nizza und der Region Alpes-Maritimes haben dem Präsidenten dies am Freitag als Fehlentscheidung vorgeworfen. Wie die linksliberale französische Tageszeitung »Libération« berichtet, erklärte der Abgeordnete der Républicains, Eric Ciotti: »Warum hat er am Mittwoch angekündigt, ihn aufzuheben? Wir brauchen einen permanenten Ausnahmezustand, denn die Bedrohung ist permanent und äußerst hoch.«
Am Freitag kündigte der Präsident die Einberufung von Reservisten an, um die Ränge von Polizei und Gendarmerie zu stärken. Die Sicherheitsvorkehrungen in dem Land würden weiter verstärkt. Die Feierlichkeiten in Frankreich zum Nationalfeiertag am 14. Juli hatten wegen der Anschlagsgefahr unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen stattgefunden. Allein in der Hauptstadt Paris waren 11.500 Polizisten im Einsatz.
Zwei deutsche Schülerinnen und eine Lehrerin unter den Opfern
Bei dem Anschlag sind auch mindestens drei Deutsche getötet worden. Das Bezirksamt von Berlin-Charlottenburg bestätigte am Freitag auf seiner Internetseite den Tod von drei Teilnehmern einer Schulreise, darunter eine Lehrerin.
»Wir sind zutiefst bestürzt über den Tod zweier Schüler*innen und einer Lehrerin des ersten Abitur-Jahrgangs der Paula-Fürst-Schule und trauern mit den Eltern, der gesamten Schule, Angehörigen und Freunden der Opfer«, erklärte Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD). Durch die Formulierung war nicht klar, ob es sich wie vom RBB und dem »Tagesspiegel« berichtet um zwei Schülerinnen handelt oder um einen Schüler und eine Schülerin.
Das Auswärtige Amt bestätigte den Tod der drei Berliner zunächst nicht, schloss deutsche Opfer aber nicht aus. Insgesamt hatten sich Klassen von sechs Berliner Schulen in Nizza aufgehalten. Fünf Schulen gaben Entwarnung.
Gauck und Steinmeier zeigen sich erschüttert
Bundespräsident Joachim Gauck zeigte sich erschüttert über die Attacke. Er sprach von einem »brutalen Anschlag auf friedlich feiernde Menschen«, der ihn »mit Entsetzen« erfülle. US-Präsident Barack Obama verurteilte die Attacke von Nizza und sprach von einem offenbaren »schrecklichen Terroranschlag«. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Tat noch in der Nacht als »barbarischen und feigen Akt des Terrorismus«.
Nach dem Anschlag hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sich erschüttert gezeigt. »Wir trauern mit Frankreich und stehen in diesen schweren Momenten fest an seiner Seite«, erklärte Steinmeier am Freitag. »Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind bei den Opfern, ihren Angehörigen und dem ganzen französischen Volk.« Bundeskanzlerin Angela Merkel sicherte Frankreich die volle Solidarität Deutschlands zu. »Deutschland steht im Kampf gegen den Terrorismus an der Seite Frankreichs«, sagte sie am Freitag am Rande des Asem-Gipfels im mongolischen Ulan Bator.
Italien verschärft Sicherheitsmaßnahmen
Die italienische Regierung hat die Sicherheitsvorkehrungen an besonders gefährdeten Orten verschärft. »Wir haben uns entschieden, unsere Systeme zur Überwachung und zum Schutz sensibler Objekte zu stärken«, sagte Innenminister Angelino Alfano laut der Nachrichtenagentur Ansa am Freitag in Rom nach einer Sitzung des Anti-Terrorismus-Komitees.
»Unsere Alarmstufe war bereits sehr hoch, dennoch haben wir entschieden, die Präfekten anzuweisen, die Risiken in ihrem Gebiet neu zu bewerten und die Kontrollen zu verstärken«, sagte Alfano. Nach Angaben des Innenministeriums hat Italien seit Beginn des vergangenen Jahres insgesamt 99 Menschen wegen des Verdachts auf Terrorismus ausgewiesen und 531 weitere Verdächtige festgenommen.
In Frankreich herrscht seit den islamistischen Anschlägen vom 13. November der Ausnahmezustand. Attentäter hatten bei Attacken auf das Fußballstadion Stade de France, den Pariser Musikclub Bataclan und eine Reihe von Bars und Restaurants 130 Menschen getötet. Zum schwersten Anschlag in der Geschichte Frankreichs bekannte sich die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Zum Anschlag von Nizza bekannte sich zunächst niemand. Agenturen/nd
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