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EU-Aufrüstung: »Der Plan offenbart eine große Lüge«
Der linke EU-Abgeordnete Marc Botenga kritisiert bei einer Demonstration in Rom die Aufrüstungspläne der EU
Was halten Sie von dieser Demonstration, die von der 5-Sterne-Bewegung (M5S) gegen die europäischen Aufrüstungspläne organisiert wurde? M5S gehört im Europäischen Parlament der Linksfraktion an, wie Sie auch.
Hier auf dem Platz sind auch Rifondazione Comunista, das Bündnis aus Grünen und Linken (AVS), Vereine und Gewerkschaften. Das ist eine sehr wichtige Kundgebung, weil der öffentliche Diskurs im Moment vom Krieg beherrscht wird. Wenn wir Frieden auf unserem Kontinent wollen, ist es richtig, zu mobilisieren, in Italien wie anderswo. Und die heutige Demonstration ist ein potenziell wichtiger Schritt.
Warum halten Sie den Plan ReArmEU für falsch?
Der Plan offenbart eine große Lüge. Lange Zeit wurde uns gesagt, es gäbe kein Geld für die Gesundheit, kein Geld für die Schulen, kein Geld für die Renten. Und heute wird fast aus dem Nichts gefordert, mal eben 800 Milliarden aus der Tasche zu ziehen. Das ist alles Geld für die Kriegsaktionäre, das auch das Gesicht Europas verändern wird.
Marc Botenga ist seit 2019 Europaabgeordneter der belgischen Partei der Arbeit (PTB). Als einer der ausländischen Gäste war Botenga am Wochenende auf der Großkundgebung der italienischen 5-Sterne-Bewegung in Rom gegen die von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angestoßene Aufrüstung der Europäischen Union. Das Gespräch fand während des Protestmarsches statt und wurde geführt von Andrea Valdambrini von der Tageszeitung »Il Manifesto«.
In welcher Weise?
Die Rüstungsindustrie wird an Bedeutung gewinnen, da wir von nun an Panzer statt Autos produzieren werden. Die europäischen Länder geben bereits viel mehr als andere große Staaten, wie Südafrika oder Indien, für den Militärsektor aus. Aber sie haben uns nicht erklärt, warum wir trotz dieser enormen Investitionen nicht in der Lage sein sollen, uns selbst zu verteidigen. Deshalb sage ich: Anstatt den Kriegsaktionären 800 Milliarden zu geben, stecken wir sie in öffentliche Dienstleistungen, garantieren wir den Schutz vor Bränden oder Überschwemmungen. Das scheint mir Priorität zu haben.
Sollte sich Europa nicht auf äußere Bedrohungen vorbereiten?
Wie ich schon sagte, sollte erklärt werden, wie dieses Geld, das ohnehin jetzt schon sehr viel ist, ausgegeben wird. Wenn die EU also in der Lage sein soll, sich zu verteidigen, muss sie zunächst das derzeitige Ausgabenvolumen einschätzen, und dann in Diplomatie investieren, die derzeit geringgeschätzt und abgewertet wird.
Der Text wurde »nd« zur Verfügung gestellt von der linken italienischen Tageszeitung »Il Manifesto«, mit der wir kooperieren.
Was halten Sie von dem von der EU-Kommissarin für Krisenmanagement, Hadja Lahbib, vorgestellten Krisen- und Notfallplan? Jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger soll immer eine Notfalltasche bereitstehen haben.
Das Survival-Kit-Video wirkte wie ein geschmackloser Scherz. In Wirklichkeit wollte man ein Klima des Schreckens schaffen mit der Vorstellung, dass ein Krieg bevorsteht. Ich erwarte keine russischen Panzer auf der Grand Place in Brüssel. Wenn überhaupt, dann ist die wirkliche Bedrohung die Atombombe, aber gegen die kann man sich leider nicht mit Panzern verteidigen. Stattdessen sollten wir die Bemühungen um atomare Abrüstung wiederbeleben, die während des Kalten Krieges unternommen wurden.
Was erwarten Sie als Mitglied des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses des Europaparlaments von der europäischen Aufrüstungsagenda für die kommenden Monate?
Ich sehe eine Herausforderung: Entweder schaffen wir eine Debatte, in der das Einheitsdenken, das uns heute aufgezwungen wird, nämlich dass die Militarisierung der einzige Weg sei, infrage gestellt wird. Oder wir setzen unseren Weg fort, der das Erscheinungsbild Europas verändern wird. Und zwar zum Schlechten.
Das Interview ist am 6. April 2025 bei unserem Kooperationspartner »Il Manifesto« (Italien) erschienen und wurde bearbeitet von Cyrus Salimi-Asl.
Originaltext auf Italienisch
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