Frankreich: Arbeitsgesetz durchgepeitscht
Premier Valls hat erneut Verabschiedung des umstrittenen Arbeitsgesetzes an Misstrauensvotum geknüpft
Und aller schlechten Dinge sind – drei. Die französische Regierung hatte es eilig, wirklich sehr eilig damit, das heftig umstrittene »Arbeitsgesetz« am Mittwoch auch in dritter Lesung im Blitzverfahren durch das Parlament zu peitschen.
Erneut kündigte Premierminister Manuel Valls am Mittwochnachmittag an, auf das juristische Instrument des Verfassungsartikels »49-3« zurückzugreifen. Diese Verfahrensregel erlaubt es, einen Gesetzestext auch ohne Aussprache im Parlament zu verabschieden. Letztere kann entweder einem Misstrauensvotum mit absoluter Mehrheit zustimmen, oder der Entwurf gilt als verabschiedet. Nach geltenden Regeln darf eine Regierung den Artikel zwar nur einmal pro Sitzungsperiode (von Oktober bis Juli) verwenden. Aber handelt es sich um denselben Text, dann wird der mehrfache Rückgriff auf diese Handhabe zur Knebelung der Abgeordneten nur einmal gezählt.
Interessanterweise hat die Regierung Valls diese Möglichkeit drei mal in der Nationalversammlung genutzt, also gegen Abgeordnete aus dem »eigenen« sozialdemokratischen Lager – aber nicht im Senat, dem konservativ dominierten Oberhaus. Dessen rechte Mehrheit hatte Mitte und Ende Juni d.J. vierzehn Tage lang völlig freie Hand, um den Text nach Belieben zu verschärfen. Das Regierungslager ging dann zwar zur ursprünglichen Fassung zurück. Die Senatsposition kam der Regierung jedoch zugute, denn es handelte sich um ein abgekartetes Spiel, bei dem das »rechtssozialdemokratische« Kabinett zeigen konnte, letztendlich verkörpere es doch das berühmte »kleinere Übel«. Die Konservativen ihrerseits konnten Signale an ihrer Wählerschaft aussenden.
Im Prinzip war der Text damit am Mittwoch Abend, in der entscheidenden letzten Lesung, »durchgewunken«. Theoretisch hieß es, noch 24 Stunden abzuwarten, um sicher zu gehen, dass kein Misstrauensantrag zur Abstimmung gestellt wird. Diese Frist verstrich am Donnerstagnachmittag. Damit ist das Gesetz endgültig angenommen.
Wird damit das Gesetz schon in Kraft gesetzt? Nein, nicht ganz. Zunächst muss der Staatspräsident, in diesem Falle François Hollande, es noch unterschreiben. Danach kann es im Journal Officiell (Amtsblatt, Gesetzesanzeiger) veröffentlicht werden, es trägt dann das Datum der Unterzeichnung. Auch könnten ParlamentarierInnen noch den »Verfassungsrat«, also das französische Verfassungsgericht anrufen, zur Prüfung der Vereinbarkeit zwischen dem Gesetz und dem höchsten juristischen Grundlagentext. Dazu müssten sich mindestens sechzig von ihnen zusammentun. Ein solcher Gang vor die Verfassungsrichter gilt als nicht unwahrscheinlich. Letztere hätten dann maximal einen Monat Zeit, um das Gesetz entweder für verfassungskonform zu erklären, es ganz oder teilweise zu zensieren, oder aber um Auslegungsvorbehalte an einzelnen Punkten anzumelden. Danach erst kann der Präsident dann unterzeichnen.
Eine weitere Etappe für die konkrete Umsetzung des Gesetzes wird die Verabschiedung von »Dekreten« sein, also von den zuständigen Ministerien ausgearbeiteten Ausführungsrichtlinien, die die näheren Details regeln. Normalerweise nimmt das Monate in Anspruch. Allerdings vermeldete das Wochenmagazin L›Express am 15. Juni in einer winzigen Fünfzehn-Zeilen-Meldung, das Arbeitsministerium unter Myriam El Khomri sei dabei, eine ganze Reihe von Ausführungsdekreten bereits auf Vorrat zu verfassen – noch bevor das Gesetz verabschiedet sei. Auch ein Anzeichen für die enorme Eile der Regierung, die unter Druck der Kapitalverbände und der EU-Kommission steht.
Die öffentliche Meinung hat ihre mehrheitliche Auffassung dazu nicht geändert. Am Montag berichtete eine Meldung der Nachrichtenagentur AFP, nach neuesten Befragungen seien 70 Prozent »unzufrieden mit der bevorstehenden Verabschiedung«. Dies entspricht den Mehrheitsverhältnissen seit Bekanntwerden der Vorlage im Februar. Zwar macht die soziale Bewegung, nach vier Monaten Dauermobilisierung vom 09. März bis zum 05. Juli, derzeit überwiegend eine Sommerpause. Am 15. September wird jedoch zu erneuten Demonstrationen aufgerufen, um die Rücknahme des Gesetzes zu fordern.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.