Von Goldkäppchen und Burka

Fabian Köhler fragt sich, was eigentlich frauenfeindlicher ist: die Vollverschleierung oder die Diskussion über ihr Verbot

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei aller Bereitschaft zur Toleranz muss eines klar sein: Das Tragen der Münsterlander Tracht ist mit paschtunisch-tadschikischen Werten nicht vereinbar. Ihre mit Goldspitze verzierte Kappe aus Westenholz steht für eine Form westlicher Dekadenz, die nichts, aber auch gar nichts mit dem afghanischen Menschenbild gemein hat. Die Tracht symbolisiert die fehlende Integrationsbereitschaft von Menschen, die aus Ahaus oder Warendorf im nordwestlichen Westfalen an den Hindukusch kommen und schon ihre Kinder in den Schulen von Kundus bis Kandahar der sozialen Ächtung preisgegeben.

Doch trotz dieser offensichtlichen Unvereinbarkeit der Münsterlander Tracht mit der afghanischen Kultur haben weder die Taliban noch die afghanische Regierung jemals ein Verbot gefordert. Keine anti-westfälische Splittergruppe versucht, mit Münsterland-kritischen Ressentiments Stimmung im Land zu machen. Der mutmaßliche Grund für das Desinteresse ist einfach: In Afghanistan gibt es niemanden, der die Tracht trägt.

Ganz anders verhält es sich in Deutschland mit der Burka: Gerade erst hat Jens Spahn wieder ein Verbot des afghanisch-pakistanischen Gesichtsschleiers gefordert. »Ich will in diesem Land keiner Burka begegnen müssen. In diesem Sinne bin ich burkaphob«, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete vergangene Woche in einem Interview mit der Zeitung »Die Welt«. Dabei muss Spahn auch ohne ein Verbot »keiner Burka begegnen«. Denn schon heute trifft man Burka-Trägerinnen in Deutschland kaum häufiger als Frauen mit Goldkäppchen aus Westenholz in Afghanistan: So gut wie gar nicht. Der Autor dieser Kolumne hat bei Vertretern deutscher Behörden, afghanischen Moscheen und Frauenvereinen, Islamwissenschaftlern und Mitarbeitern der afghanischen Botschaft nachgefragt. Niemand konnte sich erinnern, jemals auch nur eine Burka-Trägerin in Deutschland gesehen zu haben.

Dies allein entkräftet freilich die Forderung nach einem Verbot der islamischen Vollverschleierung nicht. »Frauenunterdrückung ist Frauenunterdrückung, egal wie der Fummel heißt«, mag man zurecht einwenden und darauf verweisen, dass bei der Verbotsdiskussion eigentlich Trägerinnen des in den Golfstaaten und auch in Nordafrika beliebten Niqab gemeint sind. Bezeichnend für die Unkenntnis in der Diskussion ist es dennoch, dass ausgerechnet ein Kleidungsstück, das es hierzulande gar nicht gibt, der Debatte ihren Namen gibt.

Diese Unkenntnis zeigt sich auch in einem anderen Punkt: Das »Burka«-Verbot funktioniert nicht. Dass Bekleidungsvorschriften ein schlechter Weg sind, um Frauen von vermeintlichen Bekleidungsvorschriften zu befreien, zeigt das Beispiel Frankreich: Seit fünf Jahren gilt dort das »Burka-Verbot«. Reduziert hat sich die Zahl von rund 2000 vollverschleierten Frauen seitdem nicht. Im Gegenteil: Einige wenige Musliminnen sollen den Schleier erst infolge des Verbots angelegt haben. Aus Protest. Die Vollverschleierung als Symbol des anti-patriarchalen Widerstands?

Tatsächliche Wirkung entfaltet das »Burka-Verbot« hingegen in anderer Hinsicht: Es grenzt jene, die ohnehin schon ausgrenzt waren, noch weiter aus. Niqab-Trägerinnen wird in vielen öffentlichen Einrichtungen sowie in Bussen und Zügen der Zutritt verwehrt. Das mag den ästhetischen Wünschen von Politikern wie Jens Spahn dienen. Der Emanzipation von Frauen dient es nicht. Schlimmer noch: Französische Bürgerrechtsorganisationen berichten über die Zunahme islamfeindlicher Straftaten infolge des Gesetzes. Französische Islamfeinde verstünden das »Burka-Verbot« als Legitimation für gewalttätige Übergriffe auf Musliminnen - verschleierte wie unverschleierte.

Letztere sind es auch, die in Deutschland zu leiden haben. Nein, nicht unter der Burka oder anderen Schleiern. Sondern unter den ständigen Burka-Diskussionen.

Wie viele Musliminnen in Deutschland ihr Gesicht verhüllen, weiß niemand. Schätzungen reichen von 300 bis 5000. Das heißt im Umkehrschluss: Zwischen 99,75 und 99,985 Prozent aller Musliminnen haben mit Niqab und Co. nichts zu tun. Das Klischee der unmündigen und unterdrückten Muslima, das Jens Spahn und andere mit ihren Forderungen verbreiten, trifft sie dennoch. Es ist, als müsste sich der Münsterländer Jens Spahn regelmäßig für sein mit Goldspitze verziertes Käppchen aus Westenholz rechtfertigen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!