Unheilvolle Tage
Die Wettkämpfe in Berlin 1936 in Berlin tarnten die Wappnung zum Krieg
Am 16. August 1936 - exakt um 19.37 Uhr - endeten die XI. Olympischen Sommerspielen in Berlin. Die Finalrezitation schloss mit der harmlos klingenden Frage: »Völker der Erde! Hat es je im Leben/Solch eine heilige Stunde gegeben?« Zu Ende gegangen waren turbulente Tage mit brillanten sportlichen Leistungen. Zwei Namen stehen für viele: Der US-amerikanische Leichtathlet Jesse Owens mit seinen vier Goldmedaillen und der medaillenlos gebliebene deutsche Ringer und Kommunist Werner Seelenbinder, der 1944 von den Nazis im Zuchthaus Brandenburg ermordet wurde. Sie und viele andere sportliche Glanzleistungen gerieten bis heute nicht in Vergessenheit.
Was man damals aber nur in den Geheimdienstbüros wusste - und dort aus den verschiedensten politischen Gründen verschwieg: Diese glanzvollen Festtage tarnten faktisch die Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs! Noch einmal: Sportlich gingen sie in die Historie glanzvoller Olympischer Spiele ein, politisch wurden sie für die Vorbereitung eines der größten Verbrechen der Weltgeschichte genutzt.
Und was heute in den vielen Betrachtungen kaum erwähnt wird: In den Tagen, da die Teilnehmer an den Spielen von den Berliner Bahnhöfen in das neu errichtete Olympische Dorf gefahren wurden, hatte man an der Straße, die dem Dorf gegenüberlag, bereits die »Legion Condor« untergebracht. Als die Olympiabusse eines Morgens zum Lehrter Bahnhof fuhren, um dort neue Olympia-Gäste abzuholen, stiegen Zivilisten in die entleerten Busse, die sich auf dem Bahnhof unter dem Schild »Reisegesellschaft Union« versammelt hatten, um mit dem Zug nach Hamburg zu fahren. Dort gingen sie an Bord des Frachters »Usaramo« der im »Schatten« der Spiele Kurs auf Spanien nahm, wo Truppen des Putschistengenerals Franco die junge Volksfrontrepublik bekämpften.
Dort waren längst die nötigen Vorbereitungen getroffen. Und am 30. April 1937 vermerkte ein hoher Wehrmachtsoffizier in seinem Tagebuch: »Guernica, Stadt von 5000 Einwohnern, buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Angriff erfolgte mit 250-kg- und Brandbomben, letztere etwa 1/3. Als die 1. Jus (Flugzeuge des Typs Junkers 52; d. A.) kamen, war überall schon Qualm - von VB (Versuchsbomber vom Typ Heinkel 111; d. A.), die mit drei Flugzeugen angriffen -, keiner konnte mehr Straßen-, Brücken- und Vorstadtziel erkennen und warf nun mitten hinein. Die 250er warfen eine Anzahl Häuser um und zerstörten die Wasserleitung, die Brandbomben hatten nun Zeit, sich zu entfalten und zu wirken ... ein voller technischer Erfolg unserer 250er und EC.B.1« (1-kg-Brandbombe der IG Farben; d. A.).
Als die olympische Flamme in Berlin verlosch, hatte Hitler noch einmal allen gedankt, die ihm behilflich gewesen waren, das olympische Tarnspiel zu inszenieren. Ein Brief ging sogar an das Internationale Olympische Komitee, dem für die »hingebende Mühewaltung« gedankt wurde, ein weiterer an den IOC-Präsidenten, den Belgier Henri de Baillet-Latour, dem Anerkennung für sein »Engagement« ausgesprochen wurde. Ein dritter war an Theodor Lewald adressiert, den Präsidenten des Organisationskomitees, der allerdings nicht namentlich genannt wurde - denn er war »Halbjude«. Er hatte den Faschisten enorme Dienste geleistet, vor allem, als er sich gegenüber den US-Amerikanern engagierte. Welche Dimension die Bemühungen angenommen hatten, verriet ein Brief des damaligen US-amerikanischen Generalkonsuls in Berlin, Messersmith, der Lewald »aus der Zeit der Weimarer Republik kannte und hohe Achtung vor ihm hatte«. Der Brief, mit dem Lewald seinen »Rücktritt« aus dem IOC erklärte, wurde nie gefunden, aber dafür die Kopie des Briefes, mit dem er seinen Nachfolger nominierte: General von Reichenau - der 1939 an der Spitze der 10. Stoßarmee Polen überfiel und Warschau eroberte!
1945 endete der Krieg in Berlin, von wo er ausgegangen war. In der vier Jahre darauf gegründeten Bundesrepublik Deutschland benötigte man schon bald diejenigen, die die Spiele 1936 organisiert und den Krieg überlebt hatten. Der Großherzog von Mecklenburg, IOC-Mitglied seit 1926, wurde am 24. September 1949 zum Präsidenten des »Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland« gewählt. Carl Diem, der die Spiele mitorganisiert hatte, war bereits am 12. April 1947 zum Rektor der von ihm gegründeten Deutschen Sporthochschule in Köln gewählt worden. Auch ganz oben kam die Bundesrepublik nicht ohne Leute wie ihn aus: Von 1950 bis 1953 saß Diem im Bundesinnenministerium als der für Sport zuständige Mann.
Unser Autor, langjähriger Sportchef des »Neuen Deutschland« und Vorsitzender der Sportsektion im Verband der Journalisten der DDR, berichtete von 17 Olympischen Spielen; 1988 erhielt er den Journalistenpreis des IOC.
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