Ramelow warnt vor neuen Mauern
Gedenken an Folgen der Teilung und die Toten an der Grenze / Bundesratspräsident Tillich gegen »neue Formen der Abschottung«
Berlin. Vor 55 Jahren begann die Regierung der DDR mit dem Bau der Mauer. Heute wird bundesweit an die Folgen der Teilung und die Toten der innerdeutschen Grenze erinnert. Der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, warnte anlässlich des 13. August 1961 vor neuer Abschottung. Mit Schmerz werde an die Zeit und die vielen Opfer an der innerdeutschen Grenze gedacht, so der Linkenpolitiker, doch mehr als ein Vierteljahrhundert später würden in Europa wieder Mauern und Zäune errichtet: »Um den Menschen, die auf der Flucht sind vor Bürgerkrieg, Terror und Verfolgung und uns um Schutz und Hilfe bitten, diesen Weg zu uns und diesen Schutz und diese Hilfe zu verwehren«, so Ramelow.
Mit Blick auf die Geschichte sagte Ramelow, »Mauer und Stacheldraht vermochten es nicht, den Willen der Menschen zu brechen. Die Idee der Freiheit war stärker, und der Eiserne Vorhang fiel«. Mit der Grenze habe »die DDR Millionen Menschen den Weg in die Freiheit versperrt, und ihren Wunsch nach Selbstbestimmung unterdrückt«. Als dann im Herbst 89 in Europa Mauern und Zäune fielen, sei die Hoffnung groß gewesen, dass dieses düstere Kapitel deutscher und europäischer Geschichte für immer überwunden sei. Dies sei aber offenkundig nicht der Fall, so der Linkenpolitiker mit Blick auf die zunehmende Abschottung in Europa. Diese aber werde Menschen nicht daran hindern, »auch in Zukunft zu uns kommen. Und wir werden alles dafür tun, ihnen bei uns ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen«, so Ramelow. Das sei nicht nur eine Frage der Mitmenschlichkeit; das gebiete auch der Respekt vor den vielen Menschen, die ihren Drang nach Freiheit mit dem Leben bezahlen mussten.
Am 13. August 1961 war mit dem Bau der Mauer und der Sperranlagen zwischen der DDR und Westdeutschland begonnen worden. Die komplette Abriegelung diente »der Aufrechterhaltung des politischen Systems in der DDR«, so formulierte es die Historische Kommission der Linkspartei. »Die Partei- und Staatsführung sah keine andere Möglichkeit der anhaltenden Übersiedlungs- und Flüchtlingsbewegung in die Bundesrepublik und dem damit verbundenen Verlust hochqualifizierter Arbeitskräfte Einhalt zu gebieten. Es war das Eingeständnis, den zuvor propagierten Wettbewerb der Systeme bei offenen Grenzen nicht bestehen zu können.« Die Mauer und die Grenzbefestigungsanlagen hatten danach viele Menschen das Leben gekostet, darunter auch Grenzsoldaten der DDR, Tausende wurden wegen Fluchtversuchen ins Gefängnis gebracht, Millionen Menschen das Recht auf Reisefreiheit genommen und zahllose Familien getrennt. »Die Lehre des Mauerbaus ist eindeutig: Sozialismus braucht Mehrheiten und kann nicht erzwungen werden«, so die Kommission. Der Mauerbau war zugleich ein Produkt des Kalten Krieges und der nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstandenen bipolaren Weltordnung von Ost und West. John F. Kennedys Aussage, die Mauer »sei keine schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg« illustriere dies.
Der Thüringer SPD-Landeschef Andreas Bausewein bezeichnete den Mauerbau als ein »Symbol der Unfreiheit, ein Zeichen der Schwäche und Unterlegenheit des SED-Regimes und ihrer marxistisch-leninistischen Ideologie«. Auch der CDU-Landtagspräsident Christian Carius erinnerte an die Opfer der jahrzehntelangen Teilung Deutschlands: »Mindestens 138 Menschen wurden zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer getötet oder kamen im Grenzgebiet ums Leben.«
Derweil hat Bundesratspräsident Stanislaw Tillich von der CDU den Bau der Berliner Mauer 1961 als einen »unmenschlichen Willkürakt« bezeichnet. Es sei wichtig, sich zu erinnern, dass ein Staat ein Grenzregime gegen das eigene Volk errichten ließ. Mit der Friedlichen Revolution hätten die Ostdeutschen entscheidend dazu beigetragen, dass das Vergangenheit sei. »Das sollte uns allen Mut machen, neue Formen von Ausgrenzung, Abschottung und Trennung im Kleinen wie im Großen ebenso entschlossen entgegenzutreten«, erklärte der sächsische Ministerpräsident.
Der Stasi-Unterlagen-Beauftragte Roland Jahn sagte bei der Enthüllung einer Gedenktafel für unbekannte Mauertote im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick am Freitag, dutzende Menschen seien einfach von der Bildfläche verschwunden. Angehörige hätten teilweise erst nach Jahrzehnten Aufklärung über deren Schicksal erhalten, manche hätten sogar nie eine Antwort auf ihre Fragen bekommen. »Das Schweigekartell der Verantwortlichen wirkt bis heute«, so Jahn.
Stellvertretend erinnerte er an das Schicksal von Gerald Thiem aus Neukölln. Auf den Westberliner waren auf dem Nachhauseweg nach einem Kneipenabend am 7. August 1970 insgesamt 177 Schüsse abgegeben worden. Thiem, der sich möglicherweise an einer Baustelle verirrt hatte, galt jahrelang als vermisst. Erst 24 Jahre später, im Jahre 1994, hätten die Töchter vom Schicksal ihres Vaters erfahren. Thiem war auf Anordnung der DDR-Behörden heimlich eingeäschert worden. Gerald Thiem sei kein Einzelfall, sagte Jahn.
Das Schicksal von Toten an der innerdeutschen Grenze wird weiter erforscht. Die Zahl der Opfer stehe noch nicht fest, die Recherchen an verschiedenen Orten seien aufwendiger als zunächst gedacht, sagte Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin der Deutschen Presse-Agentur. Bislang seien 1.492 Verdachtsfälle an der einstigen, knapp 1.400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze überprüft worden. Die Forschungen wurde laut Staadt verlängert. Im Frühjahr 2017 soll ein Totenbuch veröffentlicht werden. Das Projekt wird von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und sowie Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen finanziert. Agenturen/nd
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