Griechenland: Bericht über NS-Reparationen fertig
Fast 279 Milliarden Euro: Athener Parlament berät im September / Linkenpolitiker Heilig schlägt gemeinsamen Parlamentsausschuss vor
Berlin. In Griechenland nehmen die Bemühungen um Reparationsforderungen gegenüber Deutschland wieder Fahrt auf. Medienberichten zufolge hat ein Ausschuss des Parlaments in Athen bereits Ende Juli den schon lange erwarteten Bericht über die Milliardenforderungen gegenüber Berlin fertiggestellt. Das Papier ist inzwischen der SYRIZA-geführten Regierung übermittelt worden, Anfang September soll es im Parlament zu einer Abstimmung darüber kommen.
Der Linken-Politiker Dominic Heilig sagte gegenüber »nd«, das »Wegducken« der Bundesregierung und das »Wegdrücken von berechtigten Forderungen« müsse »endlich ein Ende finden«. Er plädierte zudem für die Bildung eines gemeinsamen Parlamentsausschusses von Bundestag und dem Athener Parlament, in dem eine Regelung zu den Reparationsansprüchen Griechenlands gefunden werden solle. Heilig forderte mit Blick auf den Bericht des Parlamentsausschusses in Athen, die von der griechischen Regierung formulierten Ansprüche sollten »endlich auch in Berlin gehört und ernst genommen werden«.
Griechenland fordert für die Gräuel des NS-Regimes Entschädigungen in Höhe von 269 Milliarden Euro. Diese Zahl hatte auch schon der Rechnungshof in Athen berechnet. Darüber hinaus werden etwas mehr als 9 Milliarden Euro Reparationen für den Ersten Weltkrieg verlangt. Hinzu würden noch Forderungen von Privatpersonen kommen, die sich auf mehr als 107 Milliarden Euro addieren. Zinsen sind da noch nicht einberechnet.
Deutschland habe sich bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen »immer mehr als schwer getan«, sagte der Europaexperte Heilig. Nun sei es aber »überfällig, dass endlich eine andere Mentalität, eine humanistische, Einzug im politischen Berlin hält«. Da das Völkerrecht keine Verjährung von Reparationsansprüchen kenne, sei auch die Ablehnung entsprechender Forderungen Griechenlands durch die Bundesregierung nicht zu akzeptieren. Zweifel an der ablehnenden Haltung Berlins habe auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages im Jahr 2013 geäußert. »Wenn die Bundesregierung so tut, als sei über Zwangsanleihen und Reparationszahlungen endgültig entschieden, so ist das zynisch«, sagte Heilig.
Laut einem Bericht des »Spiegel« wird die Regierung in Athen in dem 77 Seiten umfassenden Dokument aufgefordert, den »gerechten Forderungen« Griechenlands nun »dynamisch nachzugehen« - was auch als Kritik daran verstanden werden kann, dass die Reparationsfrage zwar immer wieder in der öffentlichen Debatte eine Rolle spielte, es aber nicht zu konkreten politischen und juristischen Schritten gekommen ist.
Wie die Zeitung »Kathimerini« schreibt, die SYRIZA-geführte Regierung habe vor dem Hintergrund des Jahrestages der Ratifizierung des Londoner Schuldenabkommens von 1953 gegenüber anderen europäischen Staaten auf Solidarität gepocht. Auch die Bundesrepublik, so die Botschaft, sei seinerzeit von einem großen Teil seiner Verbindlichkeiten befreit worden.
Berlin lehnt allerdings jegliche Forderung nach Reparationen an Griechenland ab. Mehrfach haben sich Regierungspolitiker entsprechend geäußert, die Frage der Entschädigung war auch zum Spielball der Auseinandersetzungen über die Kreditprogramme geworden, die der SYRIZA-Regierung zusammen mit schwerwiegenden Auflagen aufgenötigt wurden. Das Nein der Deutschen wollen die griechischen Parlamentarier nun aufweichen - und schlagen unter anderem vor, mit einer diplomatischen Verbalnote an die Bundesregierung den Start von Verhandlungen über Reparationen zu erreichen. Auch ein Schuldentribunal oder der Gang vor den Internationalen Gerichtshof seien möglich. Darüber hinaus könnten griechische Gerichte auch über die Rückzahlung eines vom NS-Regime abgepressten Zwangskredits aus dem Jahr 1942 urteilen, der heute etwa zehn Milliarden Euro Wert sein soll.
Griechenland habe seine Forderungen nach Reparationen nie aufgegeben, heißt es laut Medienberichten in dem Parlamentsreport. Der »Spiegel« zitiert den SYRIZA-Politiker und Ausschussvorsitzenden Triantafyllos Mitafidis mit den Worten, »Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht. Gerechtigkeit muss geschehen«. Aristomenis Syngelakis vom griechischen Nationalkomitees für die Entschädigungsforderungen und eines Verbandes von NS-Opfern sagte, »jetzt muss die griechische Regierung endlich die Verantwortung annehmen mit Blick auf die Opfer der Nazigräuel und der Griechen insgesamt. Wir werden keine weiteren Verzögerungen tolerieren, wir werden keinen neuen Betrug vergeben.«
Der Hamburger Arbeitskreis Distomo begrüßte den Bericht des Parlamentsausschusses und insbesondere den darin vorgeschlagenen Zeitplan zur Erreichung der Entschädigungszahlungen. Der Zusammenschluss setzt sich seit Jahren für die Aufarbeitung des SS-Massakers vom 10. Juni 1944 in griechischen Bergdorf Distomo ein. Den Opfern und Hinterbliebenen wurden gerichtlich Entschädigungen in Höhe von 28 Millionen Euro zugesprochen. »Diese Ansprüche liegen auf dem Tisch, sie müssen erfüllt werden«, sagt Jan Krüger dem »nd«. Kriegsverbrechen dürften nicht verjähren und ausgesessen werden. Initiativen wie der »Deutsch-Griechische Zukunftsfonds« zur Finanzierung von Begegnungen und Gedenkstättenarbeit genügten nicht. Das sei ein scheinheiliges Engagement, »das in Wirklichkeit dazu dient, sich aus der geschichtlichen und finanziellen Verantwortung zu stehlen, um die Entschädigung auch weiter zu verweigern«, so Krüger. Der AK Distomo fordert die sofortige Entschädigung – aller Opfer des Nationalsozialismus.
Die Linkspartei hatte sich bereits im vergangenen Frühjahr mit mehreren Initiativen für eine Entschädigung Griechenlands für das durch die Nazi-Besatzer erlittene Unrecht eingesetzt und Anträge im Bundestag unter anderem zur Entschädigung für Opfer deutscher Besatzungsverbrechen gestellt. Es sei »höchste Zeit, dass die Bundesregierung mit der griechischen Regierung faire Verhandlungen über die ausstehenden Entschädigungszahlungen für die Überlebenden des NS-Terrors und die Hinterbliebenen der Ermordeten führt«, hieß es weiter. Ziel solle ein Abkommen sein, »das Regelungen über Empfängerkreis und Höhe der Entschädigung enthält«. Auch der SPD-Altkanzler Helmut Schmidt hatte damals erklärt, »die bisherige Haltung der deutschen Bundesregierung zu diesem Problem kann nicht lange aufrechterhalten werden«. Es sei unausweichlich, dass man den Griechen entgegenkomme. tos
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