Eishaie werden über 400 Jahre alt
Dänisch-grönländisches Forscherteam bestimmte Alter gefangener Fische. Von Bengt Arvidsson
Es klingt unglaublich. Durch den Nordatlantik und das Nordpolarmeer schwimmen gegenwärtig Haie, die schon im 17. Jahrhundert aus ihren Eiern geschlüpft sind. Das Licht der Welt haben einige von ihnen somit im Dreißigjährigen Krieg erblickt. Die Rede ist vom bislang weitgehend unerforschten Eishai, auch Grönlandhai (Somniosus microcephalus) genannt. Ein Team aus dänischen und grönländischen Forschern der Universität Kopenhagen hat diese Entdeckung im Fachblatt »Science« (Bd. 353, S. 702) veröffentlicht. »Diese Entdeckung ist glaubwürdig und sensationell. Wir haben lange vermutet, dass die Eishaie sehr alt werden, aber bislang nicht bestimmen können, wie alt«, kommentiert der Stockholmer Meeresbiologe und Haifischexperte David Bernvi die Arbeit des Kopenhagener Teams.
Die Forscher haben 28 Eishaiexemplare, die zwischen 2010 und 2013 versehentlich in die Netze von grönländischen Fischern gerieten, einem komplizierten Alterstest unterzogen. Weil den Eishaien kalkartige Gewebe fehlen, war die konventionelle Altersermittlung unmöglich. Stattdessen nutzten sie unter anderem die Radiokarbonmethode. Dabei wurde in Gewebe aus der linken Augenlinse der Fische der Anteil der Kohlenstoffisotope 12C und 14C bestimmt. »Die Augenlinsen wachsen nicht und sind deshalb ausgezeichnete Messstellen. Diese Methode ist neu und sehr vielversprechend, auch für zukünftige Altersmessungen«, sagt Bernvi.
Einer der untersuchten Haie mit einer Länge von 327 Zentimetern ist laut Studie etwa 108 Jahre alt. Der größte untersuchte Eishai, mit einer Länge von fünf Metern, soll ungefähr 392 Jahre alt sein.
Warum die Eishaie so unglaublich alt werden, ist ein Rätsel, dessen Lösung auch der Menschheit bei der Suche nach der Verlängerung des Lebens helfen könnte. »Wir wissen noch sehr wenig über das Warum. In der Tat könnten gewisse Erkenntnisse darüber Menschen helfen, älter zu werden. Aber das sind nur Spekulationen«, sagt Bernvi.
Die Körpertemperatur der Eishaie entspricht der des sie umgebenden Wassers und liegt bei minus ein bis plus zwölf Grad. So könnte der dadurch sehr langsame Stoffwechsel und das langsame Wachstum der Tiere eine Ursache des hohen Alters sein. Aber Stoffwechsel und Ernährungsgewohnheiten der Eishaie unterscheiden sich kaum von denen anderer Haie, die nicht so alt werden. Zumal die Tiere keineswegs langsam sind. »Eishaie können sehr schnell sein. So ist bekannt, dass sie Robben jagen und fangen können«, sagt Bernvi.
»Die Langlebigkeit dieser Haie bleibt letztlich ein großes Rätsel«, sagt er. Es gebe gewisse Proteine in den Tieren, die dazu beitragen könnten. »Gerade die Erforschung dieser Proteine könnte interessante Erkenntnisse bringen, die unter Umständen auch Menschen zugutekommen könnten. Aber das ist Zukunftsmusik«, meint er.
Die Forscher haben auch feststellen können, dass Eishaie 150 Jahre bis zur Geschlechtsreife brauchen. Bislang ist unklar, wie viele Eishaie es gibt. Nicht selten geraten sie als Beifang in Netze. Die Internationale Union zur Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen (IUCN) sieht sie als potenziell gefährdete Spezies.
Unter den bekannten Lebewesen auf der Erde wird nur die wirbellose Islandmuschel älter als der Eishai. Sie kann über 500 Jahre alt werden.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.