Alles aus Zucker
Verbraucherschützer fordern Herstellerabgabe auf stark gesüßte Getränke
Wer sich eine Apfelschorle mischt, nimmt Apfelsaft und Wasser. Auf die Idee, ein paar Würfel Zucker unterzurühren, kommt wohl kaum jemand. In der Lebensmittelindustrie ist das Hinzufügen von Zucker, Glukosesirup oder Süßstoffen jedoch gang und gäbe: Getränke werden dadurch süßer und verursachen noch mehr Durst, der mit noch mehr Süßgetränken gestillt werden soll. Zudem sind Zuckerzusätze billiger als ein höherer Fruchtanteil in Limonade oder Eistee.
Eine neue Foodwatch-Studie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, zeigt das Ausmaß der süßen Strategie. Die Verbraucherschützer hatten bei drei großen Einzelhändlern alles gekauft, was unter dem Namen Erfrischungsgetränke vermarktet wird: Sportgetränke, Energydrinks, aromatisiertes Wasser, Fruchtsaftgetränke, Schorlen und Limonaden. Wenig überraschend enthielten die meisten viel Zucker. Nur sechs waren zucker- und süßstofffrei. Bei 274 der 463 getesteten Getränke lag der Zuckergehalt bei mehr als fünf Prozent, in 171 davon waren sogar über acht Prozent Zucker enthalten – rund sechseinhalb Würfel je 250-Milliliter-Glas.
Absoluter Spitzenreiter: der Energydrink Rockstar Punched Energy+Guava des US-Herstellers Pepsi. Rund 27 Zuckerwürfel finden sich in jeder 500-Milliliter-Dose des mit seinem Graffitidesign auf eine jugendliche Zielgruppe ausgerichteten Partygetränks. Laut der Weltgesundheitsorganisation sollte ein Mann umgerechnet höchstens 25 Würfel Zucker pro Tag zu sich nehmen, Frauen und Kinder weniger. Dieser Wert ist mit Brot, Marmelade, Obst, Wurst und Fertiggerichten schnell erreicht.
Wer nun noch Cola, Brause oder Bitter Lemon statt Wasser oder Tee trinkt, nimmt überflüssige Kalorien zu sich – und erhöht sein Risiko für Krankheiten. Wieland Kiess, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Universitätsklinik Leipzig, warnte vor einer »globalen Epidemie durch Fehlernährung«. Bei seiner Arbeit sehe er die Zunahme übergewichtsbedingter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, von Diabetes und Gelenkerkrankungen. Besonders Jugendliche würden immer dicker. Fast alle Studien zeigten einen Zusammenhang zwischen Adipositas und Süßgetränken – außer denen, die von Herstellern in Auftrag gegeben worden seien, so Kiess. Er wolle niemandem den Genuss verbieten, aber die Getränkeindustrie führe einen ungleichen Kampf: Vitaminzusätze täuschten Nahrhaftigkeit vor, auf Kinder abgestimmte Werbung verführten zum Kauf, kritisierte Kiess. Hier könne nur die Politik Abhilfe schaffen.
Das sieht auch Foodwatch-Lebensmittelexperte Oliver Huizinga so: Derzeit gebe es ökonomische Anreize dafür, ungesunde Lebensmittel zu verkaufen. So liege die Profitmarge bei Softdrinks mit fast 17 Prozent mehr als dreimal so hoch wie die für Obst. Um die Industrie zum Umdenken zu bewegen, sieht er nur einen Weg: Wer viel Zucker verwenden will, muss zahlen. Huizinga forderte eine »zweckgebundene Herstellerabgabe für Getränke mit mehr als fünf Gramm Zucker je 100 Milliliter und/oder dem Zusatz von Süßstoffen«.
Foodwatch orientiert sich dabei an Großbritannien, wo ab April 2018 eine Steuer auf Softdrinks mit hohem Zuckerzusatz abgeführt werden muss. Bis zu umgerechnet 600 Millionen Euro könnte das jährlich bringen, diese sollen für Maßnahmen zur Verhinderung von Übergewicht eingesetzt werden. Wollen Hersteller die Abgabe umgehen, bleibt ihnen nur die Verringerung des Zuckergehaltes – oder das Umschwenken auf Süßstoffe.
Um das zu vermeiden, erweiterte Foodwatch seine Forderungen um das Thema Süßstoffe. Diese seien ungesund und lösten paradoxerweise Übergewicht aus, so Kiess. In einer US-Studie an Mäusen veränderten sie demnach bei regelmäßigem Konsum dauerhaft die Darmflora.
Eine Abgabe nach britischem Vorbild könnte eine Milliarde Euro jährlich einbringen, so Huizinga. Geld, dass benötigt würde – in den Nationalen Aktionsplan für gesunde Ernährung und mehr Bewegung flossen seit 2008 rund 66 Millionen Euro. Zu wenig angesichts dessen, dass weit über die Hälfte der Bundesbürger übergewichtig ist, findet Foodwatch.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) wies die Forderung nach einer Zuckersteuer dagegen als Irrweg und »diskriminierend« zurück. Der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte NGG-Chefin Michaela Rosenberger, durch Verbote lasse sich kein Bewusstseinswandel erreichen. Zudem träfe die Preissteigerung vor allem Geringverdiener.
Die komplette Studie findet sich unter tinyurl.com/getraenke-studie
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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