»Die Provider werden es weiter versuchen«

Markus Beckedahl über die vorläufige Absage ans Internet der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und das öffentliche Auge als Wächter über die Netzneutralität

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 6 Min.

Seit Anfang der Woche sind die Leitlinien der BEREC (Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation) zur Netzneutralität durch. Sind Sie zufrieden?
Wir freuen uns erst mal darüber, dass die BEREC mit ihren Leitlinien den etwas ungenauen Gesetzestext konkretisiert hat und dabei auch einige Schlupflöcher geschlossen hat. Wir hätten uns mehr vorstellen können, aber letztendlich ist ein besserer Kompromiss herausgekommen, als wir uns das tatsächlich haben vorstellen können.

In welchen Fällen wurde konkretisiert und was hätten Sie sich noch gewünscht?
Wenn man das sogenannte Verkehrsmanagement rausnimmt, gab es zwei große Schlupflöcher. Das eine war die Frage, ob es zukünftig erlaubt ist, kostenpflichtige Überholspuren in Form von so genannte Specialist Services einzuführen, also große Dienste wie Netflix auf Überholspuren schneller zu den Kunden durchzuleiten als den Rest des Netzes. Hier ist eine Regelung entstanden, die so etwas bei Diensten wie Netflix verhindert, aber unter sehr engen Rahmen doch auch Möglichkeiten vorsieht, bestimmte Specialist Services zu machen. Das ist ein Kompromiss, mit dem wir sehr gut leben können. Beim so genannten Zero Rating (Anm. d. Red.: Anrechnen von Datenpaketen auf das monatliche Datenvolumen von Kunden) sind wir noch am Analysieren, ob das jetzt gute Regelungen geworden sind, oder nicht. Wir hätten uns auf jeden Fall ein klares Verbot von so genannten Zero Rating-Geschäftsmodellen gewünscht. Das ist nicht bei rumgekommen.

Also trotzdem ein Sieg für die Freiheit des Internets und damit eine Absage an die digitale Zweiklassen-Gesellschaft?
Aufgrund der Lobbymacht der Telekommunikationsunternehmen sind wir immer davon ausgegangen, dass am Ende ein viel schlechteres Gesetz samt Leitlinien herauskommt als das, was jetzt passiert ist. Insofern kann man schon davon sprechen, dass die Zivilgesellschaft das offene Internet verteidigt hat. Zukünftig gilt es, vor allen Dingen die Umsetzung genau zu verfolgen und wachsam zu bleiben, ob nicht möglicherweise doch noch Schlupflöcher enthalten sind, die Telekommunikationsunternehmen ausnutzen wollen.

Rund eine halbe Million EU-Bürger haben sich bei der öffentlichen Konsultation dafür eingesetzt, dass die Schlupflöcher geschlossen werden. Sind Sie mit dieser Zahl zufrieden?
Man muss dazu sagen, es handelte sich hier um eine Konsultation der europäischen Regulierungsbehörden, einer Institution, von der ein Großteil der europäischen Bürger noch nie etwas gehört hat. Bisherige Konsultationen haben immer um die hundert Eingaben gehabt. Insofern kann man schon von einem Riesenerfolg sprechen. In Ländern wie Indien oder den USA gab es bei ähnlichen Konsultationen mehr Teilnehmer, aber da gab es auch jeweils andere Debatten und eine Öffentlichkeit, die wir hier in der EU als transeuropäische Öffentlichkeit nicht haben.

Nun müssen die Leitlinien der BEREC erst noch von den Regulierungsbehörden der EU-Länder umgesetzt werden. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Provider nicht doch noch ihren Willen bekommen?
Dadurch, dass die Regulierungsbehörden auf Basis dieser Leitlinien den Gesetzestext umsetzen sollen, sind diese Leitlinien mehr als nur Empfehlungen. Wobei natürlich das Problem besteht, dass es auf unterschiedlichen Märkten innerhalb der EU durch unterschiedliche Regulierungsbehörden auch zu Unterschieden kommen könnte. Die Provider werden natürlich weiter versuchen die Leitlinien zu umgehen. Letztendlich ist es vor allen Dingen durch die große Diskussion im Sommer dazu gekommen, dass die Öffentlichkeit nun darüber wacht, ob die Leitlinien auch umgesetzt werden. Insofern werden sich das Telekommunikationsunternehmen sicherlich gut überlegen, wie sie da nun was vorbringen. Wir werden jetzt in den kommenden Jahren ohnehin Gerichtsprozesse erleben, wo die Verordnung und Leitlinien auf den juristischen Prüfstand gestellt werden.

Von dem öffentlichen Auge mal abgesehen: Welche Strafen gäb es sonst noch? Unlängst hat das Bundeswirtschaftsministerium Bußgeldregelungen bei Verstößen vorgelegt. Wie effektiv sind solche Bußgelder tatsächlich?
Das kommt drauf an, wen Sie fragen. Die einen sagen hohe Busgelder sind sinnvoll, die anderen sagen, bei eigentlich immer weniger Providern oder Telekommunikationsanbietern, die wir auf dem Markt haben, ist schon der öffentliche Druck bzw. der Imageverlust mit entscheidend. Letztendlich wird die Realität zeigen, wer jetzt Recht hat. Größere Bußgelder sind sicherlich erst mal auch aus Verbrauchersicht nicht das Schlechteste.

Netzneutralität schön und gut, aber wie sieht es mit den Inhalten aus, die transportiert werden. Stichwort: Meinungsfreiheit, Informationsbeschaffung usw.?
Wir haben jetzt klare Regeln zur Netzneutralität innerhalb der Europäischen Union. Das bezieht sich aber zunächst nur auf die Basistechnologie Internet. In den vergangenen zehn Jahren ist die Entwicklung dahin gegangen, dass immer mehr Kommunikation auf geschlossenen Plattformen wie Facebook stattfindet. Dort geben einzelne Unternehmen die Regeln vor, sie können sie einseitig verändern. Staaten und Sicherheitsbehörden bestimmen auf Basis freiwilliger Kooperationen mit den Unternehmen, welche Inhalte dort kommuniziert werden können, sollten und dürfen. Und das wird künftig massive Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit haben. Wenn sich unser Innenminister nun hinstellt und wünscht, dass Facebook auf Basis seiner Gemeinschaftsregeln die Meinungsfreiheit durchsetzt, dann ist das eine Selbstaufgabe des Staates und ein Aufruf Unternehmen zu Richtern über die Meinungsfreiheit zu machen, während eigentlich unser Rechtsstaat das machen müsste.

Wie viel von dem, was der Rechtsstaat an Eingriffen in die Privatsphäre der Bürger vornimmt, ist gerechtfertigt?
Das Internet ist eine Technologie, die auf der einen Seite totale Freiheit bringen, aber auf der anderen Seite auch das perfekte Kontrollinstrument werden kann. Es liegt an uns als Gesellschaft zu entscheiden, in welche Richtung sich das Netz weiterentwickelt. Leider erleben wir in den vergangenen Jahren einen Trend von Seiten der Politiker und Sicherheitsbehörden, dass Begehrlichkeiten geweckt werden, das Internet zu einem massiven Kontroll- und Überwachungsraum auszubauen, etwa durch Gesetze wie die Vorratsdatenspeicherung oder dem, was jetzt im Antiterrorkampf durchkommen soll.

Wie tief stecken wir also schon in Orwells feuchtem Traum?
Ich würde gern wissen, wie Orwell zu heutigen Zeiten die Zukunft bestimmen würde. Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass unter der Berücksichtigung aktueller technologischer Trends »2084« noch viel düsterer ausfallen könnte als »1984«.

Gleichzeitig schmeißen wir den großen Unternehmen wie Facebook, Google oder Amazon quasi freiwillig unsere Privatsphäre in den Rachen. Läuft es darauf hinaus, dass eines Tages ein großer Algorithmus entscheidet, was wir an Informationen zu Gesicht bekommen, basierend auf unseren Likes und gekauften Dingen, und uns damit eine perfekte Welt auf den Leib schneidert?
Es gibt schon jetzt eine Handvoll Unternehmen, die daran arbeiten, eine schöne neue Digitalwelt für uns als Konsumenten bereitzustellen, wo wir uns von den jeweiligen Algorithmen des Unternehmens eine Allroundversorgung bieten lassen können. Das hat natürlich einige Nebenwirkungen, zum Beispiel, dass man sich und seine Daten und damit seine ganze digitale Identität einem einzelnen Unternehmen anvertrauen muss und von diesem abhängig wird. Aber wir werden uns dafür einsetzen, dass es noch offene dezentrale und datenschutzfreundliche Alternativen gibt, so dass wir als Nutzer selbstbestimmt und souverän im digitalen Zeitalter agieren können und trotzdem die Bequemlichkeiten der technologischen Weiterentwicklung erleben können.

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