Schwerwiegende Rechtsverstöße
Geheimer Bericht der Bundesdatenschützerin zur Arbeit des BND durchgesickert
Am Anfang stand Edward Snowden. Mitte 2013 hatte der ehemalige US-Geheimdienstler für ein mittleres Erdbeben in der klandestinen Unterwelt gesorgt. Auch deutsche Datenschützer interessierten sich plötzlich für die Arbeit der Geheimdienste. Im Oktober 2014 konnte die mittlerweile in das Amt der Datenschutzbeauftragten berufene CDU-Frau Andrea Voßhoff den BND-Lauschposten in Bad Aibling besuchen und feststellen, dass da bei der Telekommunikationsüberwachung einiges fernab der gesetzlichen Grundlagen gedeichselt wird. Es folgten monatelange Nachforschungen, um hinter das Geflecht der technischen Aufklärung zu kommen.
Verheerender kann die Beurteilung einer Bundesbehörde nicht ausfallen. In einem 60-seitigen Bericht, der von März datiert ist, aber erst jetzt in die Öffentlichkeit gelangt, kam sie zu dem Befund: »Der BND hat meine Kontrolle rechtswidrig mehrfach massiv beschränkt. Eine umfassende, effiziente Kontrolle war mir daher nicht möglich.« 30 Mal, so haben Kollegen von NDR und WDR gezählt, fällt im Zusammenhang mit den Abhöraktionen des BND der Begriff »rechtswidrig«.
Insbesondere bei der Prüfung der sogenannten Selektorenlisten blockierte der BND die Arbeit von Voßhoff. Selektoren sind Suchbegriffe wie Telefon- oder andere Nummern. Auch E-Mail-Adressen oder normale Adressen, Kommunikationsmerkmale aus sozialen Netzwerken oder ähnliches. Nach denen der Datenverkehr gezielt abgesucht wird. Durch die Arbeit des Bundestagsuntersuchungsausschusses war Skandalöses deutlich geworden. Man bespitzelte sogar Freunde in EU-Ausland und machte unvorsichtigerweise nicht einmal vor Einrichtungen der US-amerikanischen Verbündeten halt. Und das mit Software, die aus den USA kam. Der deutsche Dienst stellt die vom US-amerikanischen Partnerdienst NSA erhalten Selektoren ungeprüft ein, lässt damit das Satelliten- und das Kabelnetz anlasslos und millionenfach durchwühlen. Zudem kopierte man offenbar besonders treffsicher US-Selektoren für die eigenen Suchlisten.
Der gesamte Umgang mit diesen Suchbegriffen sei ein »schwerwiegender Verstoß« gegen das BND-Gesetz. »In mehrfacher Hinsicht« - so schätzt Voßhoff die Software »XKeyscore« ein - erhebe der BND damit personenbezogene Daten, »die für seine Aufgabenerfüllung nicht erforderlich sind«. Voßhoff stellte bei Stichproben fest, dass zu einer einzigen Zielperson »personenbezogene Daten von fünfzehn unbescholtenen Personen erfasst und gespeichert« worden sind. Es sei »unstrittig«, dass der BND diese Informationen für seine Arbeit nicht benötige. Entgegen seiner ausdrücklichen gesetzlichen Verpflichtung habe der Auslandsgeheimdienst Dateien ohne Dateianordnungen errichtet, genutzt und damit grundlegende Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen nicht beachtet. Nach geltendem Recht seien die Informationen also unverzüglich zu löschen.
Voßhoff konstatiert »schwerwiegende Rechtsverstöße«. Die sind offenbar so gravierend, dass der BND Teile seiner Arbeit in der Überwachungsstation Bad Aibling einstellen müsste. Der Lauschposten steht im Fokus des öffentlichen Interesses, weil hier die Zusammenarbeit mit dem US-Partnerdienst NSA am deutlichsten zutage getreten ist. Doch auch von Schöningen, Rheinhausen und Gablingen aus werden Kommunikationsverkehre aus aller Welt zur Auswertung und zur Weitergabe an Partnerdienste ausgeleitet. Dass der Geheimdienst, wie man der verhinderten Kontrolleurin offenbar gesagt hat, diese Daten für seine Anti-Terror-Arbeit benötige, könne dennoch fehlende Rechtsgrundlagen nicht ersetzen, sagt Voßhoff. Denn: Eingriffe in Grundrechte bedürfen immer eines Gesetzes. Zudem trickst der BND, wenn er Anti-Terror-Arbeit als Hauptziel der elektronischen Schnüffelei ausgibt.
Da bereits in den vergangenen Monaten immer wieder herbe Vorwürfe wider die Arbeit des Dienstes aufgekommen sind, will die Große Koalition nun das BND-Gesetz anpassen. Doch der vorliegende Entwurf »öffnet die Tür zur weiteren Massenüberwachung und wahrt weder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch den der Gleichbehandlung«, sagt der Vizechef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, André Hahn.
Dabei kann sich der Linkspolitiker auf eine 55-seitige Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments stützen. Darin wird untersucht, ob die vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Hans-Jürgen Papier in einem Gutachten erwähnten Kritikpunkte an der Lauscharbeit des BND durch den Gesetzesentwurf ausgeräumt werden. Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil, die beabsichtige Reform legalisiert in verschiedenen Bereichen die bislang illegale Praxis. Für Hahn steht fest: Der Gesetzentwurf ist nicht nur fragwürdig, sondern grundgesetzwidrig.
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