Eine andere Mobilität ist möglich
Autonomes Fahren? Ja, unbedingt! Aber nicht nach der Logik der alten Industrie und nicht für den Datenhunger der Technologiekonzerne
Es vergeht praktisch kein Tag ohne neue Meldungen über Wohl und Wehe des Autonomen Fahrens. Zunächst beherrschte eine technologische Neugier die Berichte über kuschelig aussehende Google-Prototypen selbststeuernder Autos. Elon Musk und sein Unternehmen Tesla machten Schlagzeilen mit elektrisch angetriebenen Gefährten für die Besserverdienenden. Dann zogen etablierte Konzerne mit Milliardeninvestitionen nach. Inzwischen meldet sich fast täglich ein Spitzenmanager und kündet die Serienreife autonom lenkender Kraftfahrzeuge für das nächste Jahrzehnt an. Und die Politik verspricht, entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
Aber für wofür eigentlich? Die Debatte über Autonomes Fahren wird beherrscht von einem Denken der Vergangenheit - darüber täuschen auch die modernen Technologien nicht hinweg, welche die etablierten Autokonzerne ihren Kunden versprechen. Was da als Revolution auf Rädern gefeiert wird, ist in Wahrheit ein konservativer Versuch, das individualmobilistische Zeitalter zu verlängern: Luxuswagen mit Internetanschluss, SUVs als rollende »digitale Erlebnisräume«, ausgefeilte Fahrassistenzsysteme - all das wird lediglich als Fortentwicklung des Autos verstanden, wie wir es kennen.
Weshalb dann auch viel mehr über den bisher ersten toten Fahrer eines selbststeuernden Wagens gesprochen wird als über die Potenziale einer Wende, die disruptiven Charakter haben, also eine bestehende dominante Technologie vollständig verdrängen könnte: das ökologisch folgenschwere, städtebaulich unvernünftige, gefährlich viele Ressourcen verbrauchende, die Dominanz bestimmter Kapitalfraktionen absichernde klassische Autofahren.
Das Vertrackte: Auch die neuen Spieler auf dem Feld, Technologiekonzerne wie Google, verfolgen beim Autonomen Fahren eine Agenda, die nicht automatisch in eine ökologischere, in eine alternative Zukunft führt. Den Internetriesen geht es vor allem um die Daten, die »smarte Autos« mit ihren vielfältigen Sensoren in Unmengen produzieren, und um die Wertschöpfungspotenziale der daraus resultierenden Vernetzungsmöglichkeiten: zum Beispiel Lieferdienstleistungen und Echtzeit-Staumelder. Das Autonome Auto ist das Mittel zu diesem Zweck - eine Art Smartphone auf Rädern, mit denen nicht nur Google seine »Datenkompetenz versilbern« will, wie es der Experte Weert Canzler formuliert.
Dass die »alte Industrie« zurzeit mit erheblicher Förderung aus öffentlichen Geldern händeringend versucht, den selbstverschuldeten Rückstand bei der Elektromobilität aufzuholen, macht die Sache nicht besser. Tesla und andere sind einige Schritte voraus. Und dass die Zukunft der Automobilität elektrisch ist, gilt als so sicher, wie die Tatsache, dass damit noch kein Ausstieg aus dem alten Modell des Individualverkehrs verbunden ist.
Dabei könnte es tatsächlich eine schöne neue Welt werden, dieses Autonome Fahren: eine Art öffentliches Auto, das zugleich Bestandteil intelligenter Stromnetze ist, auf Bestellung zu jedem Ort kommt, kollektive Verkehrsdienste ermöglicht, das Vorankommen sicherer macht und dabei sogar eine viel demokratischere Kontrolle über ein gemeinschaftliches Gut erlaubt: unser aller Bewegung. Der öffentliche Stadtraum könnte befreit werden von sinnlos herumstehenden Fahrzeugen, Radfahrer und Kinder könnten sich große Terrains wieder erobern, das Leben in der City könnte sich qualitativ verändern. Es muss auch keine ferne Utopie bleiben, dass etwa die Software für die selbststeuernden Wagen Open Source ist, also für alle offen, nicht für heimliche Überwachung nutzbar und mit der Möglichkeit verbunden, dass die Nutzer sie selbst weiterentwickeln. Das könnte auch für die Steuerung des Verkehrs gelten, so dass lokal darüber mitentschieden werden kann, wie der Verkehr läuft.
Klar ist aber auch: Diese Potenziale bleiben links liegen, wenn die Debatte über das Autonome Fahren weiter der alten Industrie und ihren politischen Lautsprechern überlassen bleibt. Als öffentliches Gut wäre Mobilität politisch gestaltbar. Die technischen Voraussetzungen kommen rasend schnell näher. Was die Gesellschaft daraus macht, ist eine Frage politischer Auseinandersetzungen. Die nächste Ausfahrt in Richtung sozialer, ökologischer, vernetzter, kollektiver Mobilität sollten wir nicht verpassen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.