Schwarze Listen für organisierte Arbeiter

Der frühere Pestizid-Pilot und heutige Gewerkschafter Jorge Acosta Orellana über die Ausbeutung auf ecuadorianischen Bananenplantagen - und die Mitverantwortung deutscher Supermarktketten und Verbraucher

  • Lesedauer: 5 Min.

Früher haben Sie selbst als Pestizidpilot gearbeitet, heute sind Sie einer der bekanntesten Aktivisten in der ecuadorianischen Bananenindustrie. Wie kam es zu diesem Wandel?
Ab 2007 hatte ich mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen, ich hatte Probleme beim Sehen, Herzrasen, Müdigkeit und Schwindelgefühl. Ich habe mir Sorgen gemacht und gedacht, es wäre was mit dem Herzen, also habe ich ein EKG machen lassen. Der Arzt hat mir dann gesagt, dass ich keine Herzprobleme, sondern möglicherweise Vergiftungserscheinungen habe.

Was haben Sie gemacht?
Ich habe mit anderen Pestizid-Piloten gesprochen und festgestellt, dass viele die gleichen Symptome hatten. Also habe ich begonnen, mir die Sache genauer anzuschauen, um herauszufinden, welches Pestizid wir am meisten versprüht haben. Das war das Pflanzenschutzmittel Mancozeb. Außerdem habe ich die ecuadorianische Ombudsstelle gebeten, den Fall zu untersuchen.

Jorge Acosta Orellana

Für »nd« sprach Martin Reischke mit Orellana über die Situation auf den Plantagen und seine Arbeit als Gewerkschafter. Ende Mai hat die Hilfsorganisation Oxfam Deutschland in einer Studie nachgewiesen, dass große deutsche Supermarktketten wie Aldi, Edeka, Lidl und Rewe ihre Bananen und Ananas von Zulieferern beziehen, die massiv gegen die Menschenrechte verstoßen.

Was waren die Ergebnisse?
Sie haben festgestellt, dass es Probleme mit den Pestiziden gab, außerdem Stressprobleme und Fälle von Ausbeutung. Die Plantagenarbeiter haben sieben Tage die Woche gearbeitet, 14 Stunden pro Tag. Die Situation war sehr ernst: Viele hatten die Stufe des Stresses längst überschritten und waren mental krank.

Hat sich nach der Untersuchung etwas verändert?
Ja, es gab Veränderungen. Wir haben erreicht, dass die Arbeiter maximal fünf Stunden pro Tag den Pestiziden ausgesetzt sind, aber nachdem ich als Pestizid-Pilot aufgehört hatte (2010, d. Autor), wurden diese Verbesserungen wieder abgeschafft. Wir haben auch erreicht, dass Mancozeb für ein Jahr verboten wurde. Aber die zuständige Regierungsstelle hat eine Überprüfung des Pestizids angeordnet, bei der herauskam, dass die Nutzung von Mancozeb keine Probleme verursache. Also durfte es wieder genutzt werden. Nur: Mit der Überprüfung war der Hersteller selbst beauftragt worden!

Leiden nicht die Plantagenarbeiter viel mehr unter den Folgen des Pestizideinsatzes als die Piloten, die das Pflanzenschutzmittel versprühen?
Das Flugzeug ist zwar verschlossen, aber eben nicht hermetisch. Das heißt, dass auch der Pilot betroffen ist, weil er oft durch die Pestizidwolke hindurchfliegt, so dass er in einigen Fällen sogar stärker vergiftet wird als der Plantagenarbeiter am Boden.

… weil dieser die Plantage während des Pestizideinsatzes verlassen muss?
Wenn der Termin für die Ausbringung der Pestizide festgelegt wird, werden auch einige Arbeiter - allerdings nicht alle - darüber informiert, dass sie die Plantage verlassen müssen. Aber hier gibt es ein Problem, das eng verknüpft ist mit den niedrigen Preisen, die die Endverbraucher für die Bananen bezahlen. Es kommt also der Moment, in dem die Arbeiter die Plantage verlassen müssten - aber sie machen einfach weiter, weil sie ihre Quoten erfüllen müssen. Die Vorgesetzten sagen ihnen, dass sie weiterarbeiten sollen.

Wie haben Sie auf diese Verletzung der Arbeitsrechte reagiert?
Ich habe mich mit den Arbeitern getroffen, um mit ihnen zu sprechen und ihnen zu sagen, dass der einzige Weg ist, sich selbst zu organisieren. Zuerst haben wir den Verband der Arbeiter von Quevedo (Stadt in der Provinz Los Ríos, d. Autor) gegründet. 2014 haben wir uns entschieden, ASTAC zu gründen, eine gewerkschaftliche Vereinigung von Arbeitern auf Bananenplantagen und in der Landwirtschaft. Trotzdem will die ecuadorianische Regierung uns nicht als Gewerkschaft anerkennen, obwohl wir immer wieder zeigen, dass wir die Rechte der Arbeiter verteidigen.

ASTAC arbeitet mit Arbeitern aus der Bananenindustrie im ganzen Land. Wie viele Mitglieder hat die Organisation?
Wir haben 800 Mitglieder, aber man muss eben auch sehen, dass es sehr schwer ist, neue Mitglieder zu gewinnen. Seit 80 Jahren gibt es ein System, das dafür sorgt, dass die Arbeiter Angst davor haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Sie werden verfolgt, sie werden kriminalisiert, sie tauchen in schwarzen Listen auf. Und es gibt keinen Schutz von staatlichen Stellen.

Werden Sie wegen Ihrer Arbeit bedroht?
Ich bin nicht direkt bedroht worden, aber ich habe erfahren, dass einige der wichtigen Bananenproduzenten im Land davon gesprochen haben, dass es das Beste wäre, mich umzubringen, falls ich auch in Zukunft stören sollte. Aber das ist schon eine Weile her. Ich glaube, dass es auch etwas schwierig wäre, weil ich erstens nicht alleine bin - es gibt viele Menschen, die mich in meinem Kampf unterstützen - und weil es zweitens doch sehr offensichtlich wäre, von welcher Seite der Angriff kommt.

Was kann ein Verbraucher in Deutschland tun, um die Situation der ecuadorianischen Arbeiter auf den Bananenplantagen zu verbessern?
Ich glaube, dass der Verbraucher unser engster Verbündeter sein könnte. Ein Verbraucher, der sich dafür einsetzt, dass die Arbeiterrechte eingehalten werden, ist für uns sehr wertvoll. Wenn die Verbraucher uns helfen, kann das schnell einen Schneeballeffekt auslösen, der die Einzelhandelsketten zum Umdenken zwingt.

Laut der jüngsten Studie von Oxfam Deutschland sind die Arbeitsbedingungen auf Bananenplantagen in Ecuador selbst dann nicht besser, wenn sie von der Umweltorganisation Rainforest Alliance zertifiziert sind. Können durch solche Zertifikate die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Plantagen wirksam geschützt werden?
Es kann niemals eine Zertifizierung oder einen Mechanismus der sozialen Sicherung geben, ohne die unabhängig organisierten Arbeiter mit einzubinden. Wer kann sich am besten für die Rechte der Arbeiter einsetzen? Natürlich der organisierte Arbeiter selbst, denn es geht um seinen sozialen Schutz!

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