Diagnose C50.9
Bundesweite Reihenuntersuchungen sollen Früherkennung von Brustkrebs verbessern
Daniela Herpich wird von ihrem Lebensgefährten auf die Veränderung an ihrer Brust aufmerksam gemacht. Sie lässt sich sofort untersuchen. Das positive Ergebnis wirft vor allem ihren Mann aus der Bahn. Daniela Herpich, die im »normalen« Leben im BVB-Bus rund um Berlin-Zehlendorf und Steglitz hinter dem Lenkrad sitzt, wird auf einmal gesteuert - von einer Krankheit, die den Kurs ihres Lebens verändert und das Busfahren vorerst ebenso streicht wie den Kinderwunsch. Stattdessen werden Chemotherapie und Operation auf den Fahrplan gesetzt. Die 38-Jährige versucht, besonnen zu bleiben. Sie will den Krebs besiegen, nimmt an einer Studie teil, bekommt vor der Operation eine Chemotherapie und freut sich, als der Tumor nach wenigen Monaten verschwunden ist. Da auch ein Lymphknoten befallen war, wird Daniela Herpich dennoch im Frühjahr 2007 operiert werden. Trotz positiver Prognose stellt sie sich darauf ein, dass sie eine Brust verlieren könnte. Sie will vorbereitet sein, wenn plötzlich aus einer Seitenstraße jemand hervorschießt, der eigentlich keine Vorfahrt hat ...
Für Prof. Michael Untch, den Leiter des Interdisziplinären Brustzentrums des HELIOS Klinikums in Berlin-Buch, gab es in der Behandlung des Mammakarzinoms in den letzten 20 Jahren große Fortschritte. Der Krebs werde früher entdeckt und man habe gegen aggressive Arten mehr Waffen in der Hand. Eine millimetergenaue Biopsie erlaube eine feinere Diagnose. Mit dieser Gewebeentnahme, die von den Patientinnen »Stanze« genannt wird und auch ziemlich weh tun kann, bleiben vielen Frauen unnötige Operationen erspart. Die Nebenwirkungen der Chemotherapien können laut Untch durch spezielle Arzneien abgemildert werden, und es gibt eine neue Generation von Medikamenten auf der Basis von Antikörpern. Herceptin wird bei besonders aggressiven Tumoren eingesetzt, von denen ungefähr ein Viertel der Brustkrebspatientinnen betroffen ist. Dies kann man durch einen Test (Her 2 Test) herausfinden. Die Antikörper verhindern in der Hälfte aller Fälle, die diese Eigenschaft aufweisen, dass sich bei der Patientin Tochtergeschwülste bilden. »Sie werden alle drei Wochen als kurze Infusion verabreicht und sind nicht mit Übelkeit, Erbrechen, der Entzündung der Schleimhäute oder Haarausfall verbunden«.
Falsche Befunde
Nicht wenige betroffene Frauen mussten das Recht, diese lebensrettende Arznei von ihrer Krankenkasse bezahlt zu bekommen, erst erkämpfen. Michael Untch hat 85 Patientinnen mit Gutachten dabei geholfen. Über ein solches Mittel zu verfügen und es nicht einzusetzen, sagt er, sei so, »als ob Sie einem beim Ersaufen in der Spree zusehen und den Rettungsring, der neben Ihnen hängt, nicht reinwerfen.« Mittlerweile wird Herceptin Frauen mit aggressivem Krebs nicht mehr verweigert.
Der Haarausfall gilt gemeinhin als Synonym für »Chemo« und Krebs, als augenfälliges Beispiel für die schrecklichen Nebenwirkungen der Therapie. Daniela Herpich hat ein Seeräubertüchlein um ihren spärlichen Haarflaum gebunden, das ihre burschikose Natur auf angenehme Weise unterstreicht. Maria Wagner erzählt, wie ihr die Haut an den Füßen abging, wie ihr Übelkeit und Schwäche zu schaffen machten. Von den Haaren kein Wort. Dass ihre vorübergehend künstlich sind, sieht man nicht und es ist auch nicht so wichtig. Sie wachsen wieder.
Denise Menzel, die 35-jährige Fotografin aus Berlin, ist ihren walnussgroßen Tumor los - ihre Haare, Wimpern und Augenbrauen hat sie bereits wieder. Kein halbes Jahr ist es her, da saß sie mit Glatze am Bühneneingang des Theaters am Potsdamer Platz. Es war einfach zu warm für den Turban, den sie sich an den anderen Tagen um den Kopf drapiert hatte, und die Kollegen wussten ohnehin von ihrer Krankheit. Die halbe Arbeitsstelle als Pförtnerin, die ihr sehr wichtig ist, hat sie trotz Krankheit bis auf einige Tage ausüben können. Das Schlimmste, sagt sie heute, nach einer brusterhaltenden Operation, war das Annehmen der Krankheit. Als sie zusammen mit ihrem Freund vor einem knappen Jahr den Knoten entdeckt hatte, fühlte sie sich gesund. Nichts tat weh. Doch das Ergebnis der »Stanze« belehrte sie - in diesem Falle eines Schlechteren. Diagnose C50.9. Seither hinterfragte Denise Menzel jedes Detail ihrer Therapie. Sie hat immer gründlich abgewogen, mit welcher Behandlung sie leben kann. Nach der Bestrahlung, die sie momentan absolviert, wird sie entscheiden, ob sie einer knochenstärkenden Infusion zustimmt, die man ihr angeboten hat.
Von den etwa 55 000 Frauen, die jedes Jahr in Deutschland an Brustkrebs erkranken, ist mehr als die Hälfte über 55 Jahre alt, 20 Prozent sind unter 40. Allerdings gelten die Tumoren, die bei jüngeren Frauen auftreten, als besonders aggressiv. 2004 beschloss die Bundesregierung die Einführung eines Mammografie Screenings (Röntgen-Reihenuntersuchung) in Einrichtungen, deren Mitarbeiter speziell geschult sind. 24 Stellen in acht Bundesländern haben bisher die Arbeit aufgenommen. Geröntgt werden Frauen zwischen 50 und 69 Jahren, da Studien für diese Altersgruppe den größten Nutzen im Verhältnis zum Strahlenrisiko nachwiesen.
Der Brustkrebsspezialist Michael Untch hofft, dass möglichst viele Frauen am Screening teilnehmen, damit entsprechend viele Erkrankungen in einem Stadium entdeckt werden, in dem eine Heilung möglich ist. Das Verfahren wird aber auch kritisch gesehen. Martina Schröder vom Feministischen Frauengesundheitszentrum in Berlin verweist darauf, dass solche Strukturen auch Fehlerquellen beinhalten. Nach ihren Informationen ist die Zahl der Diagnosen von Brustkrebs in der Region Bremen, wo das Mammografie-Screening getestet wurde, um 50 Prozent gestiegen. Hinzu kommen noch zahlreiche falsch-positive Befunde, die Frauen vollkommen unbegründet in Angst und Schrecken versetzen. Vor dem qualitätsgesicherten Screening fanden nach Angaben von Sachverständigen deutschlandweit 100 000 überflüssige Operationen statt. »Ich vermisse, dass Frauen ausgewogene Informationen bekommen, aufgrund derer sie entscheiden können«, sagt die Diplompädagogin, die sich seit 15 Jahren mit diesem Thema beschäftigt und Frauen in Berlin berät. Positiv sei, dass die Qualität des Röntgens kontrolliert werde. Das »wilde« Screening sei auch eine gute Einnahmequelle für Ärzte gewesen, damit sei es jetzt hoffentlich vorbei. Allerdings befürchtet Schröder, dass künftig auch jüngere Frauen in jährlichen Abständen zum Röntgen geschickt werden, weil Ärztinnen und Ärzte dies für richtig halten, obwohl es keine wissenschaftliche Grundlage gibt.
Als sich Daniela Herpich in Buch vorstellte, einem der sechs zertifizierten Brustkrebszentren von Berlin, traf sie auf Heidrun Loll. Die examinierte Krankenschwester mit der Zusatzausbildung für Brustkrebserkrankungen ist das Bindeglied zwischen Patientinnen, Ärzten und allen am Behandlungsprozess Beteiligten. Seit einem dreiviertel Jahr folgt man in der HELIOS Klinik dem britischen Vorbild einer »breast nurse«, die durch das Labyrinth von Diagnostik, Therapie und Nachsorge führt. Heidrun Loll erklärt, was der Arzt meinte und sich die Patientin in ihrer Aufregung vielleicht nicht merken konnte. Sie beruhigt aufgeregte Angehörige und nimmt die Frauen in den Arm, wenn es schwer wird. Vor kurzem hat sie eine Donnerstagsrunde eingeführt, in der sich Patientinnen treffen, um Rat zu geben und zu bekommen - beispielsweise von der Expertin für Brustepithesen Dörte Schmidt.
Die Patientinnen, darunter auch Maria Wagner, Daniela Herpich und Denise Menzel, sind angetan von diesen zusätzlichen Möglichkeiten der Information und des Austauschs. Demnächst soll auch thematisiert werden, was aus Sicht der Patientinnen besser werden könnte. Maria Wagner denkt da an die Atmosphäre auf der Station 118. Sie wünscht sie sich so gut wie auf der Station 116, wo die Operationen stattfinden. Hier seien die Schwestern »wahre Engel«, schwärmt sie.
Zweitmeinung einholen
Maria Wagner macht eine zusätzliche Misteltherapie, um die Nebenwirkungen ihrer Medikamente zu verringern. Auf schulmedizinische Behandlung ganz und gar zu verzichten, käme ihr ebenso wenig in den Sinn wie die Einnahme zweifelhafter Präparate, die nicht selten sogar von Medizinern gepriesen werden. Wie der »Spiegel« berichtete, soll der fränkische Arzt Arno T. eine Brustkrebspatientin mit angeblichen Viruspräparaten behandelt und dafür 34 000 Euro kassiert haben. Eine Gutachterin der Krankenkassen fand heraus, dass das Präparat gar keine Viren enthielt, die die Krebszellen wie versprochen hätten erledigen können. So war es wenigstens nicht schädlich.
Michael Untch rät Patientinnen mit der Diagnose Brustkrebs, schnell, aber nicht kopflos zu handeln. Sie sollten mindestens eine zweite Meinung zu ihrem Befund einholen, zur Behandlung ein zertifiziertes Brustzentrum aufsuchen und zum Gespräch mit dem Arzt eine Vertrauensperson mitnehmen, die nicht so unter Schock steht und besser zuhören und fragen kann. Über alternative Behandlungsmethoden müsse jede Frau selbst entscheiden. Sucht sie im Internet mit »Google« Hilfe, werden in 0,03 Sekunden mindestens 2 490 000 Einträge zum Stichwort Brustkrebs angezeigt. Da ist guter Rat gefragt.
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