Minimalistische Präzision

Nur Dank des grandiosen Peter Simonischek ist das Kriegsverbrecher-Melodram »Bergfried« einigermaßen sehenswert

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Burgschauspieler haben’s auch nicht leicht. Schon der Begriff klingt mythisch, fast märchenhaft, als würden Burgschauspieler unter Kandelabern statt Kunstlicht spielen, das durch’s namensgebende Burgtheater scheint. Trotzdem wird dessen Personal seit Kaisers Zeiten überhöht wie Wagners Bayreuth: Will Quadflieg, Adele Sandrock, Curt Jürgens, Jane Tilden, O.W. Fischer - sie alle übertrugen die salbungsvolle Erhabenheit der Bühne an Wiens Ringstraße vor die Kamera, agierten dort aber mit einer Theatralik, die bald antiquiert wirkte.

Davor sind auch Epigonen nie gefeit: Martin Wuttke etwa, August Diehl, Udo Samel - oder Peter Simonischek. Geboren in der steirischen Einöde war das Internatskind über Jahrzehnte ein exzellenter Darsteller sperriger Bühnenklassiker, der es in Film und Fernsehen nie ganz über den Sidekick hinausschaffte; zu getragen wirkte sein Auftritt zwischen den Helden. Abseits der weltwichtigsten Bretter schien zwischen »Derrick« und »Ludwig II.« schlicht kein Platz zu sein für den Mimen mit der würdevoll ergrauten Dirigentenmatte.

Dann kam Maren Ade. Die Großregisseurin unverstellter Wahrhaftigkeit besetzte ihn als Titelfigur ihrer Generationenkomödie »Toni Erdmann« und gebar damit einen neuen Simonischek: Bis an den Rand der Karikatur real, dabei durch pure Präsenz lustig und doch von einer Tiefe, die ebenso zu Tränen der Freude wie der Ergriffenheit rührt. Da liegt sie nun, die Messlatte - auf dem Niveau von Cannes bis Hollywood, wo der Film um den Auslands-Oscar kämpfen wird. Auch sein neues Werk muss sich daran messen lassen, obwohl es gewiss vorm Jubelsturm von Kritikern und Publikum über »Toni Erdmann« abgedreht war.

»Bergfried« heißt der Film - und der reißt die Hürde klar. Das Melodram von Jo Baier, versucht sich an der oft erzählten Aufarbeitung deutscher NS-Verbrechen. Anfang der 1980er quartiert sich der geheimnisvolle Italiener Salvatore ins österreichische Alpennest Arnbrunn ein, um dort jenen SS-Schergen zu finden, der einst sein Dorf als Strafaktion im Partisanenkrieg niedermetzeln ließ. Verfolgt von Martin Gschlachts bedächtiger Kamera, stromert der einzige Überlebende 40 Jahre später durch ein feindlich gesinntes Umfeld voller Stammtischgewächse, die weder von Fremden noch der Moderne geschweige denn von damals etwas wissen wollen.

Das ist vom Gedanken her spannend und relevant. In der Umsetzung hingegen begräbt Baiers Buch die Geschichte mit jeder Minute mehr unter einer dicken Schicht Theatralik, Pathos, Bedeutsamkeit. Jenen drei Faktoren also, die Simonischeks Karriere auf der Bühne unvergleichlich machen, im Film hingegen kompliziert.

Während Fabrizio Bucci als Salvatore zu schön ist für die Rolle des Rächers, dem natürlich die Tochter des von Simonischek gespielten Gesuchten namens Erna (Katharina Haudum) verfällt, während Gisela Schneeberger ihre Haushälterin Frieda mehr persifliert als verkörpert und Figuren wie der behinderte Mann einer promiskuitiven Wirtin offenbar eher Siegfried als Bergfried im Hinterkopf hatten, erdet der Burgschauspieler Simonischek das ständige Overacting mit minimalistischer Präzision. Wenn sein Grantler Stockinger liebevoll mit dem Enkelsohn spielt, wird die Nähe des Bösen zur Normalität fast körperlich spürbar; wenn er die Welt in tonlosen Dreiwortsätzen wie »Gehst noch weg?« wissen lässt, dass sie ihn nicht mehr interessiert, ist das TV-Theater von eindringlicher Größe. Vielleicht kriegt er für dieses Talent bald wieder bessere Projekte. Muss ja nicht gleich eins von Maren Ade sein.

ARD, 21.9., 20.15 Uhr

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