Kolumbien sagt Ja oder Ja
Am Sonntag steht das Plebiszit über das Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla an
»Das war doch eine riesige Show«, sagt Carlos Mario Jaramillo. Der Mittfünfziger, von Beruf Elektrotechniker, sitzt in einem der Busse, die die Millionenstadt Medellin im Nordwesten Kolumbiens mit seinem westlichen Umland verbindet. Die Bilder von der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der FARC-Guerilla und der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos am vergangenen Montag in der Hafenstadt Cartagena haben den Mann nicht überzeugen können. »Santos ist dabei, das Land in die Hände dieser Verbrecher zu legen, die nicht einen Tag Gefängnis werden verbüßen müssen«, sagt Carlos Mario und gestikuliert aufgeregt mit seinen Händen.
An diesem Sonntag kann Kolumbien über die Vereinbarungen von Havanna und damit über ein Ende des bewaffneten Konflikts abstimmen. Die Provinz Antioquia und dessen Hauptstadt Medellín sind eine Hochburg des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe (2002-2010). Der populäre Kongressabgeordnete führt die Kampagne für das »Nein« an und zumindest hier will ihm laut einer aktuellen Umfrage der Firma »Datexco« die Mehrheit der Bevölkerung an den Wahlurnen folgen. Landesweit jedoch zeichnet sich nach wie vor eine Mehrheit für die Zustimmung zum Friedensschluss ab. »Datexco« kommt aktuell auf 55 Prozent gegenüber 38 Prozent, der Konkurrent Ipsos Napoleon gar auf 66 Prozent Zustimmung zu der Frage »Unterstützen Sie die Schlussvereinbarung, um den Konflikt zu beenden und einen stabilen und dauerhaften Friedens aufzubauen?« Mit der Ablehnung des Friedensabkommens rechnet kaum jemand.
Die Nein-Kampagne, die eine Neuverhandlung mit der Guerilla im Falle eines Sieges verspricht, arbeitete vor allem mit Emotionen statt mit fundierten Argumenten. Sie schürte diffuse Ängste vor einem Anstieg der Kriminalität in den Städten durch demobilisierte Guerilleros, sprach realitätsfern von der drohenden Enteignung von Großgrundbesitzern und warnte vor einem »Staatsstreich gegen die Demokratie«, mit dem Kolumbien derselben »Tragödie« anheimfallen werde wie das links regierte Nachbarland Venezuela. Harsche Kritik gab es zudem an der Einigung zur Übergangsjustiz, die, so die Gegner, die Straflosigkeit der Rebellen und ihnen Teilnahme an Wahlen ermögliche. Doch gerade hier sitzt Uribe im Glashaus. Denn einerseits sind bislang viele Verbrechen der Paramilitärs nach der von Uribe initiierten formalen Demobilisierung unaufgeklärt. Andererseits werden auch seine persönlichen Verbindungen zu diesen Gruppierungen sowie die staatlichen Menschenrechtsverbrechen - allen voran die außergerichtlichen Hinrichtungen von Zivilisten als vermeintliche Guerilleros während seiner Amtszeit - in den Fokus der nun entstehenden Sonderjustiz rücken. Entsprechend zeterte der stets wortreiche Ex-Präsident, die Vereinbarungen von Havanna verfolgten das Ziel, ihn ins Gefängnis zu werfen.
Auch wenn Uribe bei seiner Kampagne auf die Unterstützung von Kriegsveteranen, Teilen der Konservativen Partei und dem Fernsehsender RCN bauen kann, der seit Jahren gegen die Friedensverhandlungen polemisiert, liegt der Vorteil klar bei den Befürwortern. Die Mehrheit der gesellschaftlichen Interessengruppen steht hinter dem Friedensschluss. Neben Gewerkschaften, dem Indigenenverband ONIC, der parlamentarischen und gesellschaftlichen Linken sowie der größten Tageszeitung des Landes »El Tiempo« weiß Santos auch das Militär, die Regierungsparteien und die großen Wirtschaftsverbände hinter sich. Letztere haben sich mit großzügigen Spenden an der Ja-Kampagne beteiligt.
Die von Regierungsseite geführte Wahlkampagne zielte vor allem darauf, die städtische Bevölkerung vom erhofften Nutzen des Friedens - die Vertiefung der kolumbianischen Demokratie, Wirtschaftswachstum, mehr soziale Gerechtigkeit - für die gesamte Gesellschaft zu überzeugen. Denn paradoxerweise ist es aufgrund der demographischen Verteilung vor allem an den Kolumbianern in den Städten, über das Ende eines hauptsächlich auf dem Land geführten Krieges zu entscheiden.
Der Elektrotechniker Carlos Mario aus der Nähe von Medellín hat sich bereits entschlossen, überhaupt nicht wählen zu gehen. »Das ist doch ein abgekartetes Spiel und alles längst beschlossene Sache«, begründet er.
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