Stopp für »Stop aborcji!«

Polens Premierministerin kündigt eigenen Entwurf für neues Abtreibungsgesetz an

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Nur 58 Abgeordnete mochten dem in erster Lesung noch mit der absoluten Mehrheit der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bestätigten Gesetzentwurf zustimmen, 18 enthielten sich. Zuvor hatten landesweit rund 100 000 Polinnen im Rahmen eines »Schwarzen Montags« gegen den Gesetzentwurf protestiert.

Nun verwarf ihn in zweiter Lesung eine klare Mehrheit in der rasch einberufenen Sitzung des Sejm. »Wir haben zu keinem Zeitpunkt vorgehabt, die polnischen Frauen zu bestrafen«, sagte der PiS-Fraktionsvorsitzende Ryszard Terlecki, der noch zwei Tage vor der Abstimmung keinen Hehl aus seinen Sympathien für Abtreibungsgegner machte.

Das seit 1993 unveränderte polnische Abtreibungsgesetz zählt ohnedies zu den strengsten in der EU. Ein legaler Schwangerschaftsabbruch ist danach ausschließlich nach einer Vergewaltigung, Inzest oder der Feststellung einer schweren Behinderung beim Kind möglich. Hätte die nationalkonservative Partei von Jaroslaw Kaczynski diese letzten liberalen »Lüftungsklappen« verriegelt, würden sowohl den ausführenden Ärzten als auch den betroffenen Frauen mehrjährige Haftstrafen drohen.

Nach den Protesten hat der Chef der Regierungspartei jedoch augenscheinlich gemerkt, dass die Abtreibungsdebatte auf Dauer auch zu seinem politischen Sargnagel werden könne. Einer neuen Umfrage des Instituts Millward Brown zufolge ist die Partei Nowoczesna der nationalkonservativen PiS auf den Fersen. Obendrein fiel dem Vorsitzenden ausgerechnet seine eigene Nichte in den Rücken, die ihm ansonsten stets die Treue gehalten hat. Marta Kaczynska, einzige Tochter des 2010 umgekommenen Präsidentenpaares und zweifache Mutter, bezeichnete ein gänzliches Abtreibungsverbot unmissverständlich als »grausam«.

Angesichts wachsender Missstimmung in der Gesellschaft hat sich die PiS-Fraktion nun offenbar entschieden, der Debatte ein schnelles Ende zu bereiten. »Die Regierenden haben einfach die Hosen voll. Sie logen schon während der Wahlkampagne und sie tun es heute. Vor zwei Wochen hat eine klare Mehrheit den Gesetzesentwurf angenommen und jetzt gehören sie plötzlich alle zu seinen schärfsten Kritikern?«, empörte sich die frühere Ministerpräsidentin Ewa Kopacz im Interview mit dem privaten Nachrichtensender TVN24.

Der Parteitag der Bürgerplattform am vergangenen Sonntag in Gdansk hatte allerdings außer einer erneuten Kampfansage an die Regierung programmatisch nichts zu bieten. Die angeschlagene Parteivize Kopacz unterstützte zuletzt eifrig die »schwarzen Märsche« der polnischen Frauen und merkte beiläufig an, dass diese allmählich zu einem wirksamen Geschütz gegen die PiS werden könnten. Sie hätte es daher vorgezogen, die Diskussion über das strikte Abtreibungsverbot noch einige Wochen köcheln zu lassen.

Nach einer nächtlichen Debatte im polnischen Parlament landete das Projekt der Abtreibungsgegner schließlich im Schredder. Damit wollten die Nationalkonservativen nicht zuletzt der internationalen Kritik zuvorkommen. Gestern wurde auch im EU-Parlament über die Situation der polnischen Frauen diskutiert.

Premierministerin Beata Szydlo kündigt an, einen eigenen, weniger restriktiven Gesetzesentwurf einzubringen. Das werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen. »Das künftige Gesetz wird aber mit Sicherheit ein Abtreibungsverbot bei Kindern mit einem Downsyndrom vorsehen«, so die Regierungschefin. Seit einigen Tagen gibt es in Polen auch vermehrt »Weiße Märsche« - Demonstrationen, die eine Abtreibung von behinderten Kindern ablehnen.

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