Ich bekomme nur irgendeine alte Gurke
Paralympicssieger Michael Teuber sieht in der Spitzensportreform eine verpasste Gelegenheit, die Inklusion im Sport voranzutreiben
Vor dem Bundestagssportausschuss sagten Sie am Mittwoch, sie würden bei der Spitzensportförderreform die Vision der Inklusion von Behinderten vermissen. Was genau fehlt?
Olympischer und paralympischer Sport werden in Deutschland getrennt gefördert. Einerseits haben wir den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der das Geld an die einzelnen Fachverbände verteilt. Darauf bezieht sich ein Großteil des neuen Konzepts. Beim Deutsche Behindertensportverband (DBS) sind die Sportarten intern als Abteilungen organisiert. Der DBS agiert dann ähnlich wie der DOSB und verteilt seine Mittel an die jeweiligen Abteilungen. Es mag sein, dass diese Parallelsysteme auf die Schnelle nicht abzuschaffen sind. Aber ich sehe in den Formulierungen keine Vision, wie man sie zusammenführen könnte. Im Grunde werden viele Verbesserungsvorschläge für den olympischen Sport gemacht, doch beim paralympischen heißt es: Das funktioniert einigermaßen bei Euch, macht mal so weiter! Das ist für mich ein Stück weit Gleichgültigkeit.
Sie sähen also den Para-Kanuverband lieber als Abteilung im Deutschen Kanu-Verband als weiterhin mehr unter dem Dach des DBS.
Genau. In die Richtung müsste es gehen. In den Weltradsportverband und anderen Weltverbänden ist der paralympische Sport schon aufgenommen worden. Die Bundesrepublik Deutschland hat zudem die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Es gibt das Bundesgleichstellungsgesetz für Behinderte. Dann finde ich es nicht richtig, dass die Inklusion nicht mal als Ziel formuliert wird. Natürlich gäbe es ein paar kleinere Probleme. Manche Sportarten, wie Goalball oder Boccia für sehr schwerbehinderte Menschen, sind ja nur paralympisch, aber das wäre sicher lösbar. Die Großzahl unserer Sportarten sind gleichzeitig auch olympisch. Also wenn ich eine Vision von einer inklusiven Gesellschaft habe, muss die doch auch im Sport vorangetrieben werden. Würden Minister Thomas de Maizière und die Kanzlerin Angela Merkel sagen: »Es muss Schluss sein mit der Differenzierung, wir wollen eine vollständige Inklusion, denn nur dann gibt es Fördermittel«, dann wäre das sicher bis Tokio 2020 umsetzbar.
Michael Teuber gewann in seiner langen Karriere bereits fünf Goldmedaillen bei Paralympischen Spielen. Der 48-jährige war am Mittwoch als Experte zur Sitzung des Sportausschusses im Bundestag geladen, die über den Reformentwurf der Spitzensportförderung beriet. Danach sprach Teuber mit Oliver Kern darüber, dass er in dem Papier von Bundesregierung und Sportführung vor allem den verstärkten Kampf für die Gleichstellung von behinderten und nichtbehinderten Athleten vermisst.
Fürchtet der DBS einen Machtverlust, wenn er diese Forderung nicht unterstützt?
Ich kenne die internen Befindlichkeiten im Verband nicht. Natürlich wird der Behindertensport immer seine Besonderheiten behalten, und wenn er im DOSB aufginge, würde der DBS weiter existieren, wenn auch vielleicht eher als Reha-Sportverband. Im DOSB müsste dafür ein Vizepräsident für den paralympischen Leistungssport zuständig sein.
Rechnen Sie damit, dass die Inklusion zusätzlich Geld kosten wird?
Zum Nulltarif und ohne Anstrengungen geht es nicht. Wenn ich schwererbehinderte Menschen integrieren will, muss ich mir auch Mühe geben, hier und da umdenken und an einigen Stellen Geld investieren, um sicherzustellen, dass sie von A nach B kommen. Manche Athleten brauchen mehr Betreuung. Das darf aber kein Hemmnis für die Entwicklung der Gleichstellung im Sport sein.
Warum muss es mehr kosten, wenn man das Geld, das der DBS bislang erhält, nun an die Fachverbände gezahlt werden könnte?
Nun, es müsste sichergestellt werden, dass der paralympische Zweig bei Rangeleien ums Geld im Fachverband nicht unter die Räder kommt. Wenn es aber wirklich eine simple Übertragung der Förderung wäre, könnte man auch mit den gleichen Mitteln zunächst einiges bewirken. Ich denke aber trotzdem, dass eine komplette Integration nicht ohne Mehrkosten machbar sein wird.
Kommen wir weg von den politischen Signalen und Finanzdiskussionen. Was würde die Verbandsinklusion den Athleten bringen?
Ich will ihnen ein Beispiel nennen: das FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten, d. Red.). Da hat der DBS ein Budget von nur 300 000 Euro. Obwohl ich schon mehrfacher Paralympicssieger war, bekam ich vor Rio kein FES-Fahrrad angeboten. Kein aktuelles jedenfalls, sondern irgendeine alte Gurke. Beim olympischen Radsportverband erhält jeder eine aktuelle Maschine. In Großbritannien, den Niederlanden oder Italien haben sie längst einen Riesenschritt zur Gleichstellung gemacht. Zweites Beispiel ist die Förderung: Von den mehr als 1200 Förderstellen beim BMI und der Bundeswehr besetzen wir im Moment nur zwölf. Eine Gleichstellung der Sporthilfe müsste auch hinzukommen.
Die rühmt sich doch schon mit der Angleichung der Medaillenprämien.
Aber die A-Kaderförderung für einen Parasportler beträgt nur 150 Euro monatlich, für einen Olympiasportler sind es 300 Euro. Hinzukommen weitere Bausteine, und da gibt es im Grunde nichts für uns von der Sporthilfe, wohingegen die besten Olympiakandidaten 1500 Euro Eliteförderung erhalten. Als kleinen Ausgleich gibt es für uns die Top-Team-Förderung, die läuft aber nur über die Sporthilfe, weil der DBS Mittel nicht selbst individuell auszahlen darf. Die Sporthilfe ist nur als Verteiler tätig, hat aber mit der Generierung der Sponsorenmittel nichts zu tun. Außerdem ist die Gesamtsumme mit 400 Euro auch deutlich geringer.
Die Sporthilfe ist eine Stiftung, also nicht staatlich organisiert.
Das ist mir klar, trotzdem fordere ich einen Zuschuss des BMI an die Sporthilfe zur individuellen Athletenförderung, die dann eben auch im paralympischen Sport gezahlt wird. Gleichzeitig könnte der Start die Unternehmen an die Kandare nehmen. Die fahren sonst wohin in der Delegation der Bundeskanzlerin und wollen überall Geld machen. Dafür könnten sie dann auch unsere Sportler etwas mehr unterstützen.
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