Brexit ist im Supermarkt angekommen
Weil das britische Pfund abgestürzt ist, wird nicht nur der Briten liebster Brotaufstrich teurer
Der Brotaufstrich Marmite ist eine von diesen landestypischen Eigenheiten, die sich Außenstehenden nur schwer erschließen: Marmite ist eine zähe, braune Paste, die aus Hefe gewonnen wird und die extrem salzig schmeckt. Viele Briten schwören auf die Paste. Andere sind davon weniger angetan. Nicht ohne Grund lautet selbst der offizielle Werbeslogan: »Liebe es oder hasse es.«
Entsprechend groß war der Aufschrei, als die Supermarktkette Tesco Marmite kürzlich aus dem Sortiment genommen hat. Tesco und der Lebensmittelkonzern Unilever, der seit 2000 Marmite herstellt, waren zuvor in Streit über Preiserhöhungen geraten, die Unilever mit dem Wertverlust des Pfunds seit dem EU-Referendum begründete. Die britische Währung ist seitdem um etwa 15 Prozent gegenüber dem Euro eingebrochen. Gegenüber dem US-Dollar sank das Pfund sogar um rund 18 Prozent.
Tesco wollte sich mit den Preiserhöhungen — die neben Marmite noch Hunderte andere Unilever-Produkte betrafen — nicht abfinden. Unilever wich nicht von seinen Forderungen zurück. Marmite flog aus den Tesco-Regalen. Dessen Verkaufszahlen legten daraufhin um 60 Prozent zu, offenbar aufgrund von Panikkäufen vieler Marmite-Fans. Viele Zeitungen beschreiben den Vorfall als »Marmageddon«.
Ende Oktober kam dann die nächste »Hiobsbotschaft«: Die Supermarktkette Morrisons erhöhte den Preis von Marmite um 12,5 Prozent. Ein 250-Gramm-Glas kostet dort jetzt 2,64 Pfund (2,93 Euro), davor waren es 2,35 Pfund. Der Einzelhandelskonzern Asda nutzte den Vorfall taktisch und senkte den Preis auf zwei Pfund. Doch die Sorge von weiteren Preisanstiegen steigt bei den britischen Verbrauchern, und das aus gutem Grund.
Einzelhandelsanalyst Bryan Roberts sagte dem »Guardian«, Hersteller hätten mit Preisanstiegen bei Verpackungsmaterialien und zahlreichen Zutaten zu kämpfen. »Das ist wie ein Menetekel. Die Preiserhöhungen hat es gegeben, und es wird sie weiter flächendeckend geben.« Auch Nestlé erklärte kürzlich, dass es wohl zu Preisanstiegen kommen werde. Mehr noch: Auch Tee dürfte wohl demnächst in Großbritannien teurer werden.
Auch anderswo macht sich bereits jetzt der Brexit in Form von Preissteigerungen bemerkbar: Als Apple vor wenigen Tagen weltweit seine neue Macbook-Pro-Reihe in die Geschäfte brachte, stieg der Preis für einige Modelle um bis zu 500 Pfund. British Airways warnte kürzlich von Preissteigerungen, nachdem wegen des Absackens des Pfunds die Gewinne zurückgegangen waren. Brexit-Befürworter zeigten sich empört, als das Fitnessstudio eines Holiday-Inn-Hotels erklärte, seine Gäste könnten in Zukunft nicht mehr kostenlos Handtücher benutzen. Der Konzern begründete seine Entscheidung ebenfalls mit dem gesunkenen Wert des Pfunds.
Der EU gegenüber kritisch eingestellte Abgeordnete haben unterdessen Mark Garnier, Staatssekretär im Ministerium für Internationalen Handel, ins Visier genommen. Garnier hatte nach den Preissteigerungen gesagt, diese seien »vorhergesagt« worden. Die Regierung könne nichts dagegen unternehmen. »Das ist eine vorhergesagte Folge des Brexits«, sagte Garnier in einem Interview. »Das ist klar von allen gesagt worden: Der Brexit könnte ohne Weiteres den Wert des Pfundes abstürzen lassen. Und das ist geschehen.«
Der konservative Abgeordnete Steve Baker erklärte, der Preisanstieg von Marmite sei ein »ungerechtfertigter« Versuch gewesen, Preissteigerungen auf den Brexit abzuschieben. An Garnier gerichtet sagte er, er wünsche sich, dass »alle Minister für unsere pulsierende und dynamische Wirtschaft und unsere exzellenten Aussichten werben«. An den Preissteigerungen sei nicht der Brexit, sondern die Zinspolitik der Bank of England schuld.
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