Wie Pornos die Rechtstaatlichkeit untergraben könnten
NDR-Recherche legt Handel mit Daten von Millionen deutschen NutzerInnen offen / ExpertInnen sehen Pressefreiheit bedroht
ReporterInnen der Fernsehmagazine Panorama und Zapp haben offenbar herausgefunden, dass Millionen NutzerInnen von privaten Unternehmen im Netz ausgespäht wurden. Wie der Norddeutsche Rundfunk (NDR) berichtet, konnten bei der Recherche auch »intime Details von Bundespolitikern« herausgefiltert werden. Die Daten seien demnach von Händlern im Netz, angeblich anonymisiert, zum Kauf angeboten worden. Tatsächlich konnten jedoch mit einfachen Handgriffen die hochsensiblen Informationen Menschen zugeordnet werden, berichten die ReporterInnen in der aktuellen Ausgabe von Panorama.
Das brisante an der Sache sei, dass die Spur der Daten sogar »bis ins Bundeskanzleramt« reicht. So seien darunter sensible Informationen über den Staatsminister und Vertrauten der Kanzlerin, Helge Braun (CDU), gefunden worden. Über die Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms (Grüne) fanden die ReporterInnen gar ganze Reiseverläufe und Hinweise auf Steuerdaten.
Der Fall eines Richters dokumentiert eindrücklich, wie schnell die Sammelwut gefährliche Ausmaße für die Rechtsstaatlichkeit annehmen kann. Die JournalistInnen fanden den Namen des Würdenträgers in dem Datenbündel und konnten den Browserverlauf eines ganzen Tages rekonstruieren. Darin entdeckten sie, dass der Richter sich während seiner Arbeitszeit im Netz zunächst nach einer neuen Robe umschaute und zwischen drin auf pornographisches Material mit erniedrigendem Inhalt zugriff. In den falschen Händen könnten solche Informationen dazu geeignet sein, die Rechtsstaatlichkeit deutscher Behörden zu untergraben.
Mindestens genauso brisant ist der Fall eines Kriminalhauptkommissars, der in einem Computerbetrug ermittelte. Panorama legte in seinem Bericht offen, wie sensible Ermittlungsergebnisse ins Netz – und damit die Öffentlichkeit – gelangten.
Mit den Rechercheergebnissen konfrontiert, machte der SZ-Journalist Dirk von Gehlen in der Sendung Zapp deutlich, dass durch diese Datensammlung auch die Pressefreiheit ernsthaft bedroht sei. JournalistInnen könnten erpresst, Berichterstattung beeinflusst oder anonyme Quellen identifiziert werden, lautet das Fazit.
Bereits Anfang der Woche hatten die beiden NDR-Magazine berichtet, bei ihrer Recherche an die hochsensiblen Daten gelangt zu sein. Demnach sei ihnen ein »umfangreiches Datenpaket zum Surfverhalten von rund drei Millionen Deutschen« übermittelt worden. Dieser Satz sei jedoch nur ein Vorgeschmack dessen gewesen, was die ReporterInnen schon ab 10.000 Euro hätten erwerben können: Informationen zu rund 58 Millionen deutschen Profilen, die täglich im Netz unterwegs sind. Die Händler hätten dabei sogar sehr freizügige Versprechen gemacht, etwa dass sie das Surfverhalten dieser Menschen lückenlos bis zu drei Jahre zurück datieren könnten. Das angebotene »Häppchen« sei laut dem NDR nur ein Prozent der von deutschen NutzerInnen besuchten Webseiten im August gewesen.
Möglich geworden sei die Datensammelei unter anderem durch Browser-AddOns, wie dem beliebten »MyWOT« (Web Of Trust = Netz des Vertrauens), welches NutzerInnen nach eigenen Angaben besonders sicheres surfen im Internet verspricht. Tatsächlich greife die Erweiterung im Hintergrund sämtliche Daten, beispielsweise den Browserverlauf, ab und leite sie weiter. Aus diesen Informationen lassen sich Profile der AnwenderInnen erstellen, die beispielsweise für Werbeagenturen »Gold wert« seien, heißt es.
Hinter der Software steckt ein gleichnamiger finnischer Hersteller, mit Sitz in Helsinki. Nach eigenen Angaben soll die kostenlose Erweiterung über 140 Millionen Mal heruntergeladen und installiert worden sein. Eine Stellungnahme blieb das Unternehmen Panorama zufolge bislang schuldig. fbr
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.