Weiterer HDP-Abgeordneter in der Türkei festgenommen

Vize-Ministerpräsident Kurtulmus rechtfertigt Verhaftung als »zu hundert Prozent rechtmäßigen Vorgang« / Oppositionspartei CHP kritisiert Festnahmen als verfassungswidrig

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Istanbul. Trotz internationaler Kritik ist in der Türkei ein weiterer Abgeordneter der progressiven Oppositionspartei HDP festgenommen worden. Der Parlamentarier Nihat Akdogan sei in seinem Wahlkreis im südosttürkischen Hakkari in Gewahrsam gekommen, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus nach einer Kabinettssitzung am Montag in Ankara. Kurtulmus verteidigte die jüngste Verhaftungswelle. Es handele sich um einen »zu hundert Prozent rechtmäßigen Vorgang« der Justiz, in den sich die Politik nicht einmischen könne.

Akdogan gehört zu 15 HDP-Abgeordneten, nach denen gefahndet wurde. Am Freitag war gegen die beiden Parteichefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag sowie gegen sieben weitere HDP-Abgeordnete Untersuchungshaft verhängt worden. Drei Parlamentarier waren nach ihrer Festnahme am Freitag unter Auflagen wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Nach der jüngsten Festnahme von Akdogan wird weiterhin nach den Abgeordneten Faysal Sariyildiz und Tugba Öztürk gefahndet, die nach Angaben der Regierung im Ausland sind.

Die größte türkische Oppositionspartei CHP hat die Verhaftung mehrerer HDP-Abgeordneter als verfassungswidrig kritisiert. »Die Verhaftung von Abgeordneten noch vor Beendigung des juristischen Prozesses und vor einem endgültigen Urteil ist gegen die Verfassung und gegen die Rechtssprechung des Verfassungsgerichts«, hieß es am Montag in einer Erklärung der Mitte-Links-Partei. Der türkische Vize-Ministerpräsident Kurtulmus wies die Kritik zurück. Er verwies zugleich darauf, dass Teile der CHP der Aufhebung der Immunität zahlreicher Abgeordneter zugestimmt hätten.

Am Freitag war gegen die HDP-Vorsitzenden Demirtas und Yüksekdag sowie gegen sieben weitere Abgeordnete der Partei wegen Terrorvorwürfen Untersuchungshaft verhängt worden. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt die zweitgrößte Oppositionspartei im Parlament, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.

Das Vorgehen der Behörden gegen die regierungskritische Zeitung »Cumhuriyet« bezeichnete die CHP in ihrer Stellungnahme als »politisch motiviert«, »illegal« und »unfassbar«. Neun »Cumhuriyet«-Mitarbeiter, darunter auch Chefredakteur Murat Sabuncu, wurden am Samstag unter Terrorverdacht verhaftet. Die CHP rief die Regierung dazu auf, die derzeit weit mehr als 100 in der Türkei inhaftierten Journalisten freizulassen.

Für den Ex-Chefredakteur der unabhängigen türkischen Tageszeitung »Cumhuriyet«, Can Dündar, steuert die Türkei auf ein »Gestapo-Regime« hin. Das deutsche Volk müsse nur in seiner Geschichte blättern, um zu verstehen, wohin die Türkei gerade steuert, sagte Dündar dem »Tagesspiegel« (Montagsausgabe). »Morgens werden Häuser von Andersdenkenden, Intellektuellen und Politikern gestürmt, ohne dass das türkische Parlament eingebunden wird. Wissenschaftler werden aus Universitäten verbannt, Künstler verhaftet. Ihnen wird immer derselbe Vorwurf gemacht, am Ende ist es nur noch eine Hexenjagd«, so Dündar. Indes mobilisiert der Berliner Ableger der HDP für Montagnachmittag zu einer Demonstration vor dem Bundestag. Bereits am Freitag fanden in der Hauptstadt Proteste gegen die Festnahmen statt.

Dündar wurde im Mai in der Türkei wegen Spionage zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt. Im Juli floh er ins Ausland. Der mehrfach ausgezeichnete Journalist, der am Montag von Bundespräsident Joachim Gauck empfangen werden sollte, kritisierte die EU und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für ihre zögerliche Haltung gegenüber Erdogan. Hätte man beim ersten Funken schon »Alarm« geschlagen, hätte es für die Feuerwehr noch gereicht. »Was bringt es jetzt noch von 'alarmierend' zu sprechen, wenn das Haus nur noch Asche ist? Wir haben monatlang auf diese Reaktion der Bundeskanzlerin gewartet. Ich schrieb der Bundesregierung sogar einen Brief. Das war vor einem Jahr, als ich in der Türkei inhaftiert war.«

Die regierungskritischen Medien in der Türkei hätten von Anfang an gesagt, dass sich Erdogan nicht um die EU schert, sagte Dündar weiter. Der türkische Präsident habe nie Mitglied dieser Gemeinschaft werden wollen. »In Europa hat sich kein Leader ernsthaft hinter die Front der demokratischen Kräfte in der Türkei gestellt, niemand hat das Vorgehen dieses unterdrückenden Regimes verurteilt«, kritisierte Dündar. Damit seien gleichzeitig auch die Träume vieler Türken zunichtegemacht worden, die sich viel von den EU-Beitrittsverhandlungen erhofft hatten. Agenturen/nd

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