Türkei: Strafanzeige gegen alle Abgeordneten der CHP

Erdogan reagiert auf Äußerungen bei Kundgebung der größten Oppositionspartei

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Istanbul. Nach den Festnahmen von prokurdischen Politikern und regierungskritischen Journalisten hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jetzt die größte Oppositionspartei des Landes ins Visier genommen. Erdogan erstattete am Dienstag Strafanzeige wegen Beleidigung gegen alle Abgeordneten der Republikanischen Volkspartei (CHP), darunter Parteichef Kemal Kilicdaroglu. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, reichte sein Anwalt Hüseyin Aydin die Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft in Ankara ein. Diese muss nun über die Einleitung von Ermittlungen entscheiden.

Die sozialdemokratische CHP ist die größte Oppositionspartei in der Türkei. Sie hatte sich nach dem versuchten Militärputsch vom 15. Juli zunächst mit der türkischen Regierung solidarisiert. Daraufhin zog Erdogan Strafanzeigen zurück, die er zuvor gegen den CHP-Chef gestellt hatte.

Die neue Strafanzeige bezieht sich auf Äußerungen während einer am Montag von Kilicdaroglu geleiteten CHP-Versammlung, bei der das repressive Vorgehen der türkischen Behörden gegen Regierungsgegner seit dem Putschversuch als »autoritärer Staatsstreich« verurteilt wurde. Die Türkei durchlaufe derzeit »einen dunklen und autoritären Staatsstreich, der vom Präsidentenpalast ausgeht«, erklärte die Partei. »Die jetzige politische Situation stellt eine ernste Bedrohung für die Freiheit unseres Volkes und die Zukunft unseres Landes dar.«

Seit dem Putschversuch wurden zehntausende Menschen festgenommen oder aus dem Staatsdienst entlassen, weil ihnen eine Unterstützung der Putschisten vorgeworfen wurde. Zuletzt lösten die Festnahme von Mitarbeitern der Oppositionszeitung »Cumhuriyet« sowie von Politikern der prokurdischen Oppositionspartei HDP auch in der EU Empörung aus.

EU-Kommissionschef Juncker äußerte sich besorgt über die Lage in der Türkei und deutete Konsequenzen für die geplante Visafreiheit für türkische Staatsbürger an. »Wenn wir die Visafreiheit morgen ablehnen würden, läge der Fehler nicht bei uns, sondern an den türkischen Behörden«, erklärte er. Die EU hatte die Aufhebung der Visapflicht an Bedingungen wie eine Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze geknüpft. Juncker forderte Ankara auf, klarzustellen, »ob sie wirklich ein Mitglied der EU sein möchte oder nicht«. Die Türkei ist seit 2005 EU-Beitrittskandidat, zuletzt wurden in Brüssel aber Forderungen lauter, die Verhandlungen abzubrechen. Am Mittwoch will die EU-Kommission ihren neuesten Fortschrittsbericht zur Türkei vorgelegen. Laut Medienberichten übt die Behörde darin scharfe Kritik an der Entwicklung in dem Land.

Eine Erklärung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini, in der diese am Dienstag die Entwicklungen in der Türkei als »äußerst beunruhigend« bezeichnete, wies das türkische Außenministerium als »wertlos« zurück. Die Europäische Union habe »ihre Glaubwürdigkeit und ihren Ruf im Kampf gegen den Terror verloren«. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in Berlin, er könne »nicht recht nachvollziehen, worauf sich die Vorwürfe aus Ankara wirklich gründen«. Er verstehe, dass der Putschversuch rechtlich und politisch aufgearbeitet werde, so Steinmeier. Aber dies müsse »unter Respektierung rechtsstaatlicher Erfordernisse« geschehen.

In der Türkei ging derweil die Prozesswelle gegen Regierungskritiker weiter: Der türkische Vertreter von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu, und zwei weitere Aktivisten müssen sich seit Dienstag vor einem Gericht in Istanbul wegen »terroristischer Propaganda« verantworten. Die Staatsanwaltschaft fordert 14 Jahre Haft für die drei Angeklagten. Der ehemalige deutsche U21-Fußballnationalspieler Deniz Naki wurde am Dienstag hingegen von einem Gericht in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir vom Vorwurf der Verbreitung von »Terrorpropaganda« für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) freigesprochen. Der 27-Jährige, der für den Club Amed SK in Diyarbakir spielt, sagte, er habe sich lediglich dagegen ausgesprochen, dass Menschen getötet werden: »Sie haben verstanden, was sie verstehen wollten, darüber bin ich traurig«. AFP/nd

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