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Keine Auskunft unter dieser Nummer

Der Berliner Verfassungsschutz lässt sich von Aktivisten nicht in die Akten schauen

  • Simon Brost
  • Lesedauer: 3 Min.

Zu einer Entscheidung in der Sache kommt es nicht. Am späten Donnerstagnachmittag weist das Verwaltungsgericht Berlin die Klage als unzulässig zurück. Das bestätigte ein Gerichtssprecher dem »nd«. Zuvor war am Vormittag eine Stunde mündlich über ein Thema verhandelt worden, das über Berlin hinaus die linke Szene interessieren dürfte: Nämlich die Frage, inwiefern der Verfassungsschutz Auskunftsersuchen von Betroffenen über deren gespeicherte Informationen abblocken darf.

Hintergrund des Verfahrens war der Fall Berliner Sozialforum. Der einst im Jahr 2003 gegründete lose Zusammenschluss aus Gewerkschaftern, linken Aktivisten und Wissenschaftlern wollte sich in die damaligen Auseinandersetzungen um die Folgen der Hartz-IV-Gesetze einmischen. Es ging vor allem um die Wahrung der Rechte der Transferempfänger. Drei Jahre später wurde durch das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« bekannt, dass die offenen Treffen der Gruppe seit ihrer Gründung systematisch vom Berliner Verfassungsschutz überwacht worden waren. Mehrere Betroffene verlangten von der Behörde daraufhin Auskunft über die zu ihnen gespeicherten Informationen. Der Rechtsanspruch auf eine solche Auskunft ergibt sich aus dem Verfassungsschutzgesetz. Die Behörde darf allerdings die Auskunft verweigern, wenn diese nach ihrer Einschätzung durch die Offenlegung von Quellen und Arbeitsweise die Aufgabenerfüllung des Inlandsgeheimdienstes gefährden würde.

Von diesem Passus hatte der Verfassungsschutz im Fall der Aktivisten Gebrauch gemacht. Mehrere Mitglieder des Sozialforums zogen gegen die Praxis vor Gericht.

Im aktuellen Fall wollte der Betroffene an diesem Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht den ablehnenden Bescheid zu seinem Auskunftsersuchen aufheben und die Verfassungsschutzbehörde zu einer neuen Entscheidung über seinen Antrag verpflichten lassen. Aufgrund von Formfehlern scheiterte das jedoch.

Nachdem bereits ein früheres Ersuchen des Klägers abschlägig beschieden worden war, hatte der Betroffene 2012 einen erneuten Antrag beim Verfassungsschutz gestellt, ihm Auskunft zu erteilen.

Mehr als zwei Jahre später folgte die Antwort aus der Senatsverwaltung für Inneres. Die Behörde erklärte darin, dass der Antragsteller nach ihrer Einschätzung »seit mehreren Jahren der linksextremen Szene« angehöre. In ihrem Bescheid attestiert sie ihm weiter eine »gute Vernetzung« und »dogmatische Festigung«. Auf welche Erkenntnisse der Inlandsgeheimdienst seine Auffassung stützt, ging aus dem Schreiben indes nicht hervor. Die Behörde führte lediglich die Teilnahme an einigen Veranstaltungen und Demonstrationen an. Weitergehende Auskünfte oder gar die Einsicht zumindest in Aktenteile wurden aus Gründen der Geheimhaltung verwehrt.

Dem Aktivisten ging es am Donnerstag ausdrücklich nicht darum,ob die Einschätzung des Verfassungsschutzes zutreffend sei. »Ich möchte wissen, was das Amt über mich weiß. Wenn sie es mir nicht sagen, möchte ich zumindest wissen, warum nicht«, betonte er in seiner Erklärung, die »nd« vorliegt. Der Kläger bemängelte vor allem die lapidare Begründung der Verfassungsschutzbehörde. Er und sein Beistand verwiesen auf eine höchstrichterliche Rechtsprechung. Die bloße Wiedergabe oder Umschreibung der gesetzlichen Weigerungsgründe reiche nicht aus, lautete der Tenor einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.

Richterin Alice Fertig äußerte am Donnerstag gleich zu Beginn Bedenken, ob die Klage überhaupt formal zulässig sei. Der Kläger habe die vierwöchige Einspruchsfrist und spätere Fristen zur Wiedereinsetzung des Verfahrens verstreichen lassen. Zudem bezweifelte sie, ob überhaupt eine wirksame Klage vorliege. Der Betroffene habe in seinem eingereichten Schriftsatz lediglich »unter dem Vorbehalt der Gewährung von Prozesskostenbeihilfe« Klage erhoben. Den Weg, dass eine Klage mit einer positiven Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag quasi automatisch anhängig werde, sehe das Gesetz aber nicht vor, erläuterte die Richterin.

Der Aktivist erwägt jetzt, als nächstes vor das Oberverwaltungsgericht zu ziehen.

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