Vonovia scheitert vor Gericht mit Mietspiegeltricks

In Berlin begründete der Wohnungsriese Mieterhöhungen mit Merkmalen, die nicht im Mietspiegel aufgeführt sind

Das Wohnungsunternehmen Vonovia begründet in Berlin Mieterhöhungsschreiben mit nicht im Mietspiegel aufgeführten Merkmalen.
Das Wohnungsunternehmen Vonovia begründet in Berlin Mieterhöhungsschreiben mit nicht im Mietspiegel aufgeführten Merkmalen.

Ein Supermarkt, eine Apotheke und eine Bushaltestelle in der Nähe sind in Berlin wahrlich keine Besonderheit. Dennoch hat der Immobilienriese Vonovia versucht, damit Mieterhöhungen zu begründen. Ein Versuch ist zunächst gescheitert: Das Amtsgericht Lichtenberg hat in einem Fall gegen das Unternehmen geurteilt.

Vonovia begründete ein Mieterhöhungsverlangen nach dem Mietspiegel unter anderem mit den »wohnwerterhöhenden« Merkmalen »gute ÖPNV-Anbindung« und »gute Nahversorgung«. Bloß, dass diese Merkmale nicht im Mietspiegel aufgeführt beziehungsweise schon Teil der Einordnung in die Lage der Wohnung sind. Im vorliegenden Fall hatten die Mieter*innen der Erhöhung nicht zugestimmt, Vonovia dann die Mieter*innen verklagt.

Der Mietspiegel ist eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete, die die Obergrenze für Mieterhöhungen im Bestand definiert. Diese Vergleichsmiete ist allerdings nicht für jede Wohnung gleich, sondern unterscheidet sich je nach Wohnlage und Ausstattung der Wohnung. Für die letztendliche Einordnung gibt es »wohnwertmindernde« und »wohnwerterhöhende« Merkmale. Für das Wohnumfeld sind das zum Beispiel »Lage in stark vernachlässigter Umgebung« und »Bevorzugte Citylage«. An der Erarbeitung des Mietspiegels war unter anderem der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen beteiligt, in dem auch Vonovia Mitglied ist.

Laut Urteil kritisiert Vonovia, dass die beiden ins Feld geführten Merkmale nicht ausreichend in der Wohnlageneinstufung berücksichtigt worden seien. Deswegen sollen sie als wohnwerterhöhend gelten. Dieser Argumentation folgt das Gericht nicht. Damit greife das Unternehmen den Mietspiegel als solchen an, so das Urteil. Der Mietspiegel stelle aber eine geeignete Schätzgrundlage dar.

Auch auf den konkreten Fall bezogen, widerspricht das Gericht der Vonovia-Argumentation. Um die Mieterhöhung zu begründen, hatte das Unternehmen angeführt, dass eine Bushaltestelle in 400 und eine weitere in 350 Meter Nähe seien. »Würde man diese Verkehrsanbindung als zusätzliches Merkmal berücksichtigen, wäre praktisch jede Wohnung betroffen«, so das Gericht. Da die Wohnung weder in der Nähe einer S- noch einer U-Bahn-Haltestelle liege, dürfe die Verkehrsanbindung sogar schlechter sein als die der überwiegenden Zahl der Berliner Wohnungen.

Trotz der Niederlage vor Gericht sieht sich Vonovia in seinem Vorgehen hinsichtlich des Berliner Mietspiegels bestätigt, wie Unternehmenssprecher Christoph Metzner auf nd-Anfrage hin mitteilt. »Die Spanneneinordung ist nicht Teil des qualifizierten Mietspiegels, es können weitere Merkmale hinzugezogen werden.« Das Urteil besitze nur Aussagekraft für diesen konkreten Fall, so der Sprecher weiter. »Es hat keine allgemeingültige Bedeutung. Jede Mietanpassung ist ein Fall für sich.«

Der Alternative Mieter- und Verbraucherschutzbund (AMV) begrüßt das Urteil: »Wir erwarten, dass andere Amtsgerichte sich dieser Entscheidung anschließen und eine einheitliche Rechtsprechung zu dieser Thematik entsteht«, so Marcel Eupen, Vorsitzender des AMV. Im Gespräch mit »nd« weist Eupen auf ein weiteres Problem mit den Erhöhungen hin: »In den Schreiben wird der Eindruck vermittelt, dass die Merkmale Teil des Mietspiegels sind.« Ängstliche Mieter*innen würden dann denken, dass Vonovia das ordnungsgemäß geprüft habe und dann der Erhöhung zustimmen, so Eupen weiter. »Es wird eine hohe Dunkelziffer geben. Und dann werden ungesetzlich hohe Mieten gezahlt, die dann wiederum in die zukünftige Berechnung des Mietspiegels einfließen.«

Der AMV fordert Vonovia deswegen dazu auf, für die Zukunft anzuerkennen, dass die erfundenen Merkmale »Gute ÖPNV-Anbindung« und »Gute Nahversorgung« nicht wohnwerterhöhend sind und dass diese bei künftigen Mieterhöhungsverlangen nicht mehr verwendet werden sollen.

Der Senat hat bislang keinen Handlungsbedarf hinsichtlich des Vorgehens von Vonovia gesehen. »Im Streitfall zwischen den Mietvertragsparteien über die Würdigung weiterer Merkmale entscheiden letztlich allein die ordentlichen Gerichte«, so der Senat im November in der Antwort auf eine Anfrage. Der AMV kritisiert diese die Passivität: »Jetzt, nachdem ein Urteil vorliegt, kann der Senat nicht mehr untätig bleiben«, so Eupen. Der Senat müsse Einfluss nehmen, damit sich Vonovia an den Mietspiegel in seiner bestehenden Form hält. Auf nd-Anfrage hin wiederholt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ihre Einschätzung und ergänzt: »Mietrecht ist Zivilrecht und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen kann niemanden entsprechend anweisen.« Mieter*innen, die den Verdacht haben, dass Mieterhöhungsverlangen nicht rechtens sind, empfiehlt der Senat, sich an die bezirklichen Mietrechtsberatungen und die Mietprüfstelle zu wenden.

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