Lieber nicht mitwurschteln
Suhrkamp hat Hermann L. Gremliza entdeckt
«Ganz Deutschland ist dunkel», hat Peter Handke einmal gesagt. Und wer lange genug in dem dunklen Land lebte, wusste sofort, was der Schriftsteller damit meinte. Es ist das Land, in dem der Bundeskanzler einen Krieg eine «friedliche Lösung mit militärischen Mitteln» nennt und sich daran niemand weiter stört. Wo ein dem politischen Establishment Angehörender, der einen einstigen nationalsozialistischen Marinerichter einen «Gegner des NS-Regimes» und Chinesen «Schlitzaugen» nennt, befördert wird anstatt eine Strafanzeige zu bekommen. Wo man für das Anzünden eines Flüchtlingswohnheims oder das öffentliche Halten von Hetzreden als «besorgter Bürger» belobigt und in Fernsehtalkshows eingeladen und für die Beteiligung an einer antifaschistischen Sitzblockade als Terrorist verfolgt wird. Wo, wer «Holocaust» sagt, stets zur Antwort bekommt: «Aber der Genozid an den US-amerikanischen Ureinwohnern!» Denn die Täter, so viel steht fest, sind immer die anderen und nie die, die man für die eigenen Leute zu halten gelernt hat.
Das Totschlagen von Menschen gilt hierzulande vor allem deshalb als unfein, weil der «Wirtschaftsstandort Deutschland» und die deutschen Exporte darunter leiden könnten. Der Hass auf Menschen, die anders sind, gehört zum guten Ton und der Begriff Sozialdemokratie ist nur ein anderes Wort für Schweinerei. Es ist ein Land, in dem in der «Bild»-Zeitung den Dummgehaltenen täglich erklärt wird, wie stinkefaul «der Grieche» und «der »Asylant« sind, während die »Süddeutsche« den Zahnarzt und die Studienrätin mit israelkritischen Karikaturen und Günter-Grass-Gedichten versorgt. Ein Land, in dem man nun schon seit Jahrzehnten den Moment herbeisehnt, in dem man »Volksgemeinschaft« endlich wieder ohne Anführungszeichen schreiben darf. Ein Land, in dem der gegenwärtig amtierende Bundesgrüßaugust, Pfarrer Gauck, jener deutschnationalen Illustrierten, die die Meinungsführerschaft beansprucht, im Interview, ohne dabei rot zu werden, sagt: »Wer hasst, wird in diesem Land nicht die Mehrheit erringen«, obwohl schon ein flüchtiger Blick in die Leserkommentarspalten der Online-Ausgaben von »Bild«, »Welt«, »Süddeutscher« und »Spiegel« ausreicht, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.
Einer, der dieses sonderbare Land gut kennt, dieses Deutschland, wo traditionell die deutsche Sprache am lautesten spricht, wer sie am wenigsten kann, und das vaterländische Denken und Empfinden zuweilen von der AfD bis zur Linkspartei reicht, ist Hermann L. Gremliza, seit über 40 Jahren Herausgeber des linken Monatsmagazins »Konkret«. Gremliza, der dieser Tage 76 Jahre alt wird, wird nicht müde, den schon lange zum »Wettbewerb« veredelten Kapitalismus nach wie vor so zu nennen sowie das garstige Treiben seiner Landsleute aufmerksam zu beobachten und Monat für Monat in seiner Herausgeberkolumne und in der Rubrik »express« zu kommentieren. Worauf können wir noch hoffen? Auf die moderne Sozialpolitik? »Aller Sozialpolitik liegt der Gedanke zugrunde, dass wer den Sklaven leben lässt, länger an ihm hat.« Auf die deutsche Gedenkkultur? »Das einzige Bauwerk, das den Verbrechen von Auschwitz, Lidice, Oradour und Leningrad ohne kunstgewerblichen Trost gerecht geworden war, haben sie niedergelegt. Sie nannten es mit mehr Recht, als sie wussten: die Schandmauer.« Auf die Grünen? »Wenn sie dafür ihre Dienstwagen behalten dürfen, bauen die Grünen zehn neue Atomkraftwerke und erklären Russland den Krieg.« Auf die Linkspartei? Es wird »schwer zu bestreiten sein, dass der Geschäftsführer der realsozialistischen Partei sich zur Gründerin der KPD verhält wie ›Liebesnächte in der Taiga‹ zu ›Deutschland. Ein Wintermärchen‹.«
Irgendwer beim Verlag Suhrkamp scheint, nach über 40-jährigem Wirken Gremlizas als Herausgeber von »Konkret« (»Lesen, was andere nicht wissen wollen«), plötzlich dessen Existenz bemerkt zu haben. Denn soeben erschien überraschend in der Edition Suhrkamp ein schmales Bändchen, das Gedanken von ihm »aus den letzten zwei Jahrzehnten« versammelt. Gremlizas Kritik der hiesigen Zustände decouvriert an der kaputten und mit Ideologie vollgesogenen Sprache der Medien und der Politik die Armseligkeit des Denkens jener, die sich im Kultur- und Politzirkus in die vorderen Reihen drängeln. Und er geht nicht der alten Lüge auf den Leim, Kritik müsse stets eine »konstruktive« sein, eine, die treuherzig die vermeintliche Pflicht zum »besseren Vorschlag« mit sich trägt wie der Hund das Stöckchen, oder gar eine, die im Parteiauftrag daherkommt. Seine Kritik ist eine spottende, eine im besten Sinne rücksichtslose, unversöhnliche. »Der Kritiker muss es nicht besser können. Wissen, dass er es nicht kann, sollte er aber doch.«
Das hat mehr mit Heine, Karl Kraus und Tucholsky gemein als mit all den Habermasens und Zizeks, Ströbeles und Wagenknechts. Beruhigend ist dabei auch, dass er auch die Linke nicht ausspart, wenigstens nicht jene Linke, die sich zuweilen asketischer gibt als der Protestantismus oder die es über Jahrzehnte hinweg eingeübt hat, jede berechtigte und vernünftige Kritik an ihr als »unsolidarisch« zurückzuweisen, jene Linke also, die das tägliche Herunterbeten der immergleichen öden Phrasen und Parolen bereits für den Gipfel der Unbotmäßigkeit hält und die - mal früher, mal später - stets zuverlässig als Bettvorleger der Sozialdemokratie endet.
Gremliza ist erfreulicherweise so etwas wie die Gegenfigur zum Linkspopulisten: Es geht ihm nicht um diejenigen, die andere »das Volk« zu nennen übereingekommen sind, denn so etwas wie »das Volk« oder »die Nation« gibt es nicht. Was es hingegen gibt, sind Klassen und sich widersprechende Interessen. Als er einmal in einer Zeitung vom angeblich eine Schlucht in Georgien bevölkernden »Kleinvolk der Kisten« lesen muss, kommentiert er: »Wo es das Volk der Kisten gibt, können die Völker der Dosen, Schachteln und Tüten nicht weit sein. Es wird sich aber jeweils um das gleiche Tetrapack handeln wie bei dem unsern.« Es geht Gremliza auch nicht darum, Mehrheiten zu sammeln, weil er weiß, dass dort, wo eine Mehrheit zusammenkommt, nicht selten Vorsicht geboten ist. Er will keine Bündnisse schließen und sucht nicht den Kompromiss.
Seine Kritik entlässt er in die Welt, damit sie da ist, damit Zeugnis abgelegt wird von der allumfassenden Gemeinheit und der Verblödung, die hierzulande traditionell einen guten Nährboden zu haben scheint. Er ist so etwas wie der Bartleby der linken Publizistik: sich nicht dumm machen lassen, nicht nachgeben, nicht mitwurschteln. Auf die Idee, im ARD-»Hauptstadtstudio« zwischen Markus Söder und Claudia Roth oder anderen Reklametanten und -onkeln Platz zu nehmen, käme er, so ist anzunehmen, nicht einmal in seinem kühnsten Traum. Das macht ihn sympathisch. »Das andere, bessere Deutschland gibt es nicht«, schrieb er. »Was es gibt, sind die Deutschen und ein paar Menschen, die auch in dieser Gegend wohnen.«
Hermann L. Gremliza: Haupt- und Nebensätze, Edition Suhrkamp, 159 S., 15 €.; »Scheiß Deutschland!« Hermann L. Gremliza im Gespräch mit Dietmar Dath, 12.11., 20 Uhr, Roter Salon der Volksbühne, Berlin.
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