Mehr Privateigentum an Ackerland ist nötig
Michael Zeuske über die kubanische Landwirtschaft, strukturelle Probleme und falsche historische Vergleiche
Herr Zeuske, in der kubanischen Landwirtschaft haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Reformen stattgefunden. Dennoch müssen nach wie vor Nahrungsmittel in großem Stil importiert werden. Weshalb?
Landwirtschaft zur Eigenversorgung in Ländern wie Kuba, deren Eliten sich seit etwa 1750 auf massive Exportproduktion spezialisiert und die lokale Nahrungsmittelproduktion wenig gefördert haben, hat es schwer. Auch, und gerade weil auf Kuba seit 1959 eine völlig andere Politik betrieben, aber im Zuge der »grünen Revolution« der 1960er Jahre, nach einer kurzen Industrialisierungsphase unter Che Guevara, seit 1965 staatlicher Großgrundbesitz als Basis der Entwicklung der Landwirtschaft gefördert wurde. Das hat ja auch die Verbraucher der oberen Einkommensgruppen und der politischen Elite daran gewöhnt, dass die »guten« Nahrungsmittel nicht vom Bauern um die Ecke stammen können.
Nach Angaben der FAO werden von 6,6 Millionen Hektar Ackerland nur rund drei Millionen Hektar bearbeitet. Die Agrarreform 2008 sollte brachliegendes Land an Kleinbauern vergeben. Ist das gelungen?
In Bezug auf die Flächen großer Staatsbetriebe zumindest ist es nicht gelungen. Das Land liegt zur Hälfte brach und wird überwuchert. Das kann jeder Tourist an der Ausbreitung des Marabú, einer bodendeckenden Dornenpflanze von zwei bis drei Meter Höhe, beobachten. Es ist aber partiell gelungen. Partiell deswegen, weil das Land immer nur für zehn Jahre in Pacht vergeben werden darf. Das ist im Grunde für bäuerliches Wirtschaften zu kurz. Dazu kommen fixe Preise für einen Teil der Agrarprodukte. Und noch etwas kommt hinzu: In Kuba hatten sich zwischen den 1960er und 1980er Jahren die Bedingungen für die Landbevölkerung extrem verbessert. Die damals auf dem Lande Geborenen gingen in die Städte und wurden etwa Militärs, Lehrer oder Ärzte. Auf Kuba fehlt mindesten eine Generation von Bauern, die eng mit dem Land, der Viehwirtschaft und ähnlichen Bereichen verbunden sind.
Michael Zeuske ist Historiker und Experte für die Geschichte Kubas und Venezuelas. Jüngst erschien von dem an der Universität Köln lehrenden Professor die »Kleine Geschichte Kubas« in der vierten, überarbeiteten und aktualisierten Auflage.
Über die Entwicklung in der kubanischen Landwirtschaft sprach mit ihm für »nd« Harald Neuber.
Es gibt ja viele Formen landwirtschaftlicher Produktion: UBPCs, CPAs, CCS› Wo sehen Sie die Zukunft der kubanischen Landwirtschaft, bei staatlichen Unternehmen, Genossenschaften oder privaten Produzenten?
Bei allen drei Dimensionen. In Bezug auf die Landwirtschaft zeigen sich die Probleme des heutigen Kubas vielleicht am nachhaltigsten. Für die ausreichende Versorgung mit preiswerten Nahrungsmitteln müsste Privateigentum an Agrarland zugelassen werden und die Konkurrenz zwischen den Betriebsformen verstärkt werden. Staatliche Unternehmen und Genossenschaften gewöhnen sich schnell an staatliche Vorgaben und Preise und fallen schnell in »Dienst nach Vorschrift«. Eigentlich müsste für private Produzenten volles Privateigentum im Gesetz verankert werden. Macht man das aber, kommen ganz andere Probleme auf den Tisch - die extrem komplizierte Frage der Rückgabe alten Eigentums, vor allem an Boden und an Häusern. So etwas wie Erbpacht, sagen wir, über drei Generationen, wird es wohl nicht geben. Und eine Streichung von Altforderungen an Land- und Hauseigentum mit den Exilanten ist nicht in Aussicht. Also könnten entweder die Pachtbedingungen verlängert und verbessert werden oder es wird stärker auf Genossenschaften gesetzt. Das scheint auch der »bürokratische Sozialismus« Raúl Castros zu bevorzugen.
Vor knapp 15 Jahren wurde die Zuckerindustrie erst aufgegeben, nun soll sie wieder revitalisiert werden. Eine recht schnelle Umorientierung.
Die häufigen Umorientierungen waren bis 2008 ein Markenzeichen des »charismatischen Sozialismus‹« Fidel Castros. Als die hoffnungslos veraltete Zuckerproduktion 2001-2002 ohne neue Investitionen auf den riesigen Gütern unter Staatskontrolle zusammenbrach, erklärte Fidel Castro, damals noch Regierungschef, dass »Zucker niemals nach Kuba zurückkehren werde«, weil Zucker und Plantagen »zu den Zeiten der Sklaverei« gehörten. Jetzt investieren seit ein paar Jahren brasilianische Firmen in Zucker-Centrales.
Geht es am Ende um interne Produktionsprozesse oder schlichtweg um den Import von Hilfsmitteln, Dünger, Maschinen, Treibstoff …
Interne Produktionsprozesse verlangen auch nach Investitionen, neuen Technologien, neuer Technik und neuer Vermarktungsformen. Und Massenimporte hat ja vor allem Fidel Castro immer wieder versucht. Das Problem ist, dass Venezuela in der Krise ist und die anderen großen Volkswirtschaften nicht einsehen, warum sie die eigentlichen internen Reformprobleme Kubas lösen sollen. Und da hängt viel dran, etwa die immer lauter werdende Forderung der Kubanerinnen und Kubaner nach einer Abschaffung des doppelten Währungssystems.
Gegner der sozialistischen Regierung in Kuba weisen immer wieder darauf hin, dass die wirtschaftliche Lage vor der Revolution vermeintlich besser war. Wie sehen Sie das als Historiker?
Was die Produktivitäts- und Marktdynamik betrifft, stimmt das sicherlich, obwohl man das auch im Einzelnen untersuchen müsste, weil es halt extrem viel Korruption, mafiöse Strukturen, extremen Reichtum und Monopolmacht gab. Das Argument übersieht aber, dass etwa die Hälfte der damaligen Bevölkerung Kubas, vor allem die ländliche, nicht oder nur zeitweilig an der Dynamik teilhaben konnte, von Bildung und Gesundheit ganz abgesehen. Es gibt bis heute immer noch kaum eine Gesamtbevölkerung in Lateinamerika, die Sozialsysteme auf dem Niveau wie in Kuba kennt.
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