Eine Autobahnbrücke, die sich krank meldet
Waage, Verkehrszähler und Thermometer - bei Nürnberg hat das Bundesverkehrsministerium ein ganz besonderes Bauwerk errichtet
Rote und blaue Linien bewegen sich in kleinen und großen Zacken über den Bildschirm. Plötzlich schlagen die Kurven weit nach oben und unten aus. Gleichzeitig ist ein lautes Donnern zu hören. »Das war ein Lastwagen«, erklärt Bauingenieur Sebastian Böning und schaut auf den Computer im Innern der ersten »intelligenten« Brücke Deutschlands. Das rund elf Millionen Euro teure Bauwerk steht im Osten Nürnbergs in Bayern, dort wo sich die Autobahnen 3 und 9 begegnen. Sie gehört zum sogenannten Digitalen Testfeld Autobahn des Bundesverkehrsministeriums.
Worum sich bislang Menschen kümmerten, soll nun das Bauwerk selbst liefern: Informationen über den Verkehr, ihren eigenen Zustand und auch über ihre wahrscheinliche Rest-Lebensdauer. Dafür wurden Dutzende Sensoren eingebaut. Die Brücke ist damit sozusagen Waage, Verkehrszähler und Thermometer zugleich. Seit Mitte Oktober ist sie in Betrieb.
Das System sei zwar schon mehrfach in Brücken eingebaut worden, sagt die Ingenieurin Ursula Freundt - doch meist erst im Nachhinein. »Soweit ich weiß, ist das weltweit die erste Brücke, bei der es schon zur Geburt eingebaut wurde. Wir erfahren damit von Anfang an, wie der Zustand des Bauwerks ist.« Forscher, Ingenieure und Politiker erhoffen sich damit mehr und vor allem frühere Erkenntnisse zu den Veränderungen und Belastungen, denen Brücken unterliegen sowie zu ihrem Zustand.
Denn bislang werden Schäden meist erst entdeckt, wenn sie schon offensichtlich sind. Bei den turnusmäßigen Bauwerksüberprüfungen alle paar Jahre können die Experten eben nur äußerliche Defekte sehen. »Man sieht dabei aber nicht, wie es der Brücke innen geht. In den Beton reinschauen können wir ja nicht«, sagt Freundt.
An deutschen Autobahnen und Bundesstraßen gibt es mehr als 39 000 Brücken. Rund 13 Prozent der Brückenfläche ist nach Angaben der Bundesregierung in »nicht ausreichendem« oder sogar »ungenügendem« Zustand. Viele dieser Überwege entstanden in den 1960er bis 1980er Jahren. Die jahrzehntelange Dauerbelastung mit tonnenschweren Sattelschleppern hat Spuren hinterlassen. »Damals war auch noch nicht vorherzusehen, wie sich der Verkehr einmal entwickelt«, sagt Böning. Außerdem herrschte früher eher das Bau-Prinzip »leicht und preiswert«. Auch der Vorgänger der modernen Nürnberger Autobahnbrücke wurde mit einer Art von Stahl gebaut, der anfällig für Materialermüdung ist. Da niemand wusste, wie lange das Bauwerk noch hält, musste der 156 Meter lange »intelligente« Neubau her.
Und der hat es in sich: Im Beton, an zwei Brückenlagern sowie an der sogenannten Dehnfuge sind zahlreiche Sensoren eingebaut. Eine solche Fuge hat jede Brücke - denn durch Temperatur und Belastung bewegt sich das Bauwerk und dafür muss Platz sein. Rund 40 Sensoren sind allein hier angeschlossen. Sie erkennen auf beiden Spuren die Fahrzeuge, die darüber rollen, und messen deren Geschwindigkeit, Achszahl und Gewicht. Angeschlossen sind sie an einen Rechner im Innern der Brücke, der die Daten digitalisiert und speichert. Noch müssen die Informationen dort abgeholt werden. »Bis zum Ende des Jahres wollen wir eine Internetverbindung haben, um extern auf die Daten zugreifen zu können«, sagt Christiane Butz von der Maurer AG.
Auch an zwei Lagern auf einem Pfeiler, auf denen die Brücke aufliegt, wird gemessen: Und zwar die Lasten sowie Verdrehungen und Verschiebungen. Neben der AG Maurer und dem Ingenieurbüro Freundt sind auch die Universität der Bundeswehr in München sowie die Uni Lübeck für die Forschung an der Brücke verantwortlich. Die Wissenschaftler aus Lübeck wollen unter anderem ein drahtloses Überwachungssystem entwickeln. Zudem beobachten sie die Auswirkungen des Klimas auf die Brücke und die Entwicklung von Mikrorissen im Bauwerk. »Durch die verschiedenen Systeme, die in der Brücke verbaut sind, können wir uns bei den Ergebnissen ergänzen«, sagt Butz.
Fünf Jahre soll das Projekt nun laufen. Die Erkenntnisse, die daraus gewonnen werden, sollen helfen, »die Ära der digitalen Infrastruktur einzuleiten« - oder einfach, künftig noch bessere Brücken zu bauen. dpa/nd
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