Wie Sie manipuliert werden
Am Montag beginnt der erste »Neurofinance«-Kongress in Frankfurt
Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA hat Nebenwirkungen: Harte Argumente und politische Ziele verlieren im Internetzeitalter an Gewicht gegenüber »weichen« Faktoren wie Mimik, Gestik und Stimme. Egal, welche Taktlosigkeiten geäußert werden, der erste Eindruck zählt. Aus Gesichtern ziehen Wähler Rückschlüsse auf die jeweilige Persönlichkeit und deren Fertigkeiten. Und das Ganze, wie die Forschungen des US-Psychologen Alexander Todorov von der Princeton Universität zeigen, im Bruchteil von nur einer Sekunde.
Doch nicht allein in der Politik werden weiche Einflussfaktoren, wird »Neuro-Marketing«, ernster genommen. Am Montag findet erstmals eine »Neurofinance Konferenz« in der Bankenmetropole Frankfurt am Main statt. Veranstalter ist der Investmentverband DVFA. »Neurofinance wird im deutschen Markt sicher eine Erfolgsgeschichte werden«, so ein Verbandssprecher. Wer frühzeitig dabei ist, werde »ein Stück weit smarter« sein als andere Investoren.
Vordenkern der Szene wie Thorsten Hens geht es um das Erkennen »biologischer Ursachen« für das Verhalten von Anlegern. »Wir schauen den Leuten ins Gehirn«, sagt der Professor der Universität Zürich in einem Videointerview. Eine Herausforderung. Schließlich sind 100 Milliarden Nervenzellen und eine weit größere Zahl an Verbindungen zwischen diesen an unseren Handlungen beteiligt.
Hens sucht mit seinem Team nach Gehirnregionen, die entscheiden, ob jemand »aggressiv« in Aktien investiert oder riskante Geldanlagen meidet. Entscheidend für die »Risikotragfähigkeit« sei, ob das Angst- oder das Lustzentrum größer sei. Das daraus folgende Verhalten sei biologisch alternativlos, »da kann man nichts machen«. Gegen den Bauchmenschen helfe keine Anlageberatung.
»Wir wollen«, schreibt ein anderer Szenestar, Bernd Ankenbrand von der privaten Karlshochschule International University in Karlsruhe, »mit neuen Werkzeugen Menschen beim Denken zugucken.« Hinter der Neurofinance-Idee droht ein biologistisches Weltbild. Mit Hilfe der Verhaltensforschung, »ethnographischer Feldforschung« und der auf Finanzwissenschaft spezialisierten »Behavioral Finance« sollen bessere Ergebnisse für die eigene Kapitalanlage erzielt oder Kleinanleger manipuliert werden.
»Aber soweit ist es noch lange nicht«, beruhigt Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Thießen auf Anfrage des »nd«. Neurofinance sei vor etwa 15 Jahren mit großen Erwartungen gestartet. Anfänglich gab es schnelle Fortschritte, weil vorhandene Erkenntnisse der Biologen von Ökonomen genutzt wurden. »Das ist nun vorbei.« Neue Forschungsergebnisse der Biologen kämen langsam, und deshalb sei der Hype, den Neurofinance einmal hatte, abgeebbt.
Thießen warnt vor voreiliger Ablehnung. »Man wollte endlich wegkommen von dem vereinfachten Bilde des Homo oeconomicus, den man mit einfachen Nutzenfunktionen beschrieb.« Besonders interessiert seien naturgemäß Marketingfachleute.
Dagegen hofften Wissenschaftler, scheinbar unerklärliche Boom- und Crash-Phasen an den Finanzmärkten aufzuklären und weitere zu verhindern. Darum wollten sie genauer wissen, wie Akteure auf neue Informationen, Gerüchte, Entwicklungen oder Aktionen anderer Menschen reagieren.
Für Sparer und Kleinanleger könnten bessere Erkenntnisse sogar »eher nützlich als schädlich« sein, meint Thießen, der als Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre an der TU Chemnitz lehrt. Geheimwissen gebe es kaum noch. Deshalb bräuchte man keine Angst vor Missbrauch zu haben. »Die Menschen würden ihr eigenes, oftmals irrationales Handeln besser begreifen, wenn die Natur des Gehirns und des Denkens genauer bekannt wäre.«
Thießen nennt ein Beispiel: Eine US-amerikanische, nachhaltig ausgerichtete Fondsgesellschaft habe kürzlich ihre Investitionen untersucht und festgestellt, dass die Renditen schlechter ausfielen als erwartet. Die Kauffman Foundation gab sich selbst die Schuld: Man habe auf Hoffnungen statt auf rational-kritisches Denken gesetzt.
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