Der Sturm auf das Kanzleramt bleibt aus
Die deutsche Rechte ist erstarkt - ihre Zukunft steht dennoch in den Sternen. Ein Kommentar
Eine neue Untersuchung des britischen Instituts YouGov hat's in sich: Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Deutschen im Vergleich zu anderen EU-Staaten weniger empfänglich für populistische Parolen vor allem von rechts sind. Angesichts der AfD-Erfolge bei den jüngsten Landtagswahlen, ständiger Attacken auf Asylbewerber und wöchentlicher Pegida-Aufmärsche eine Erkenntnis, die einen zunächst verwundern lässt, wenn nicht gar zu vehementem Kopfschütteln verleitet. Die Einschätzung der Studienautoren, dass die Deutschen eine Art Bollwerk gegen »autoritären Populismus« seien, erschließt sich dann doch recht schnell - nämlich nach einem Blick auf die Sonntagsumfragen der vergangenen Wochen: Die AfD erhielt bei den unterschiedlichen Instituten zwischen zehn und 14,5 Prozent Zustimmung. Der Sturm der Rechten auf das Kanzleramt ist also nicht in Sicht - auch wenn die neue Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung der YouGov-Untersuchung widerspricht. Demnach teilt ein Viertel der Deutschen sogenannte neurechte Einstellungen.
Die Situation in Polen, den Niederlanden und Frankreich dagegen ist eine andere. Darauf weist YouGov zurecht hin. In Paris stehen die Chancen für die »Machtergreifung« deutlich besser als in der Bundesrepublik. Für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr wird damit gerechnet, dass die Frontfrau der Front National (FN) Marine Le Pen in die Stichwahl kommt. Vermutlich wird sie es mit einem Kandidaten der Konservativen zu tun bekommen - entweder mit François Fillon oder Alain Juppé, je nachdem, wer sich am Wochenende bei den Vorwahlen endgültig durchsetzen wird. Ein vergleichbarer Zweikampf ist bei der Bundestagswahl 2017 undenkbar. Nur ein Narr würde darauf wetten, dass jemand aus der AfD-Führungsclique die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel antritt. Die SPD hat zwar recht, dass die CDU-Chefin nicht mehr unschlagbar ist. Doch Petry und Konsorten dürften im nächsten Jahr dennoch ohne Chance bleiben.
Die AfD ist im Vergleich zur FN eine sehr junge Partei. Anfänglich konnte sie mit einer Stimmungsmache gegen die »Euro-Rettungspolitik« der Bundesregierung punkten. Zu nennenswerter Größe ist die Rechtspartei aber erst durch die Flüchtlingspolitik gekommen. Die FN dagegen hat sich im Politikbetrieb der ehemaligen »Grande Nation« festgebissen – und das nicht erst seit gestern. Erinnert sei an die Präsidentschaftswahlen 2002, als der inzwischen kaltgestellte Vater von Marine Le Pen, Jean-Marie, in die Stichwahl einziehen konnte, dann aber dem Amtsinhaber Jacques Chirac unterlag.
Eine ähnliche Entwicklung für die AfD steht in den Sternen. Was wird aus der Partei, wenn die Zuwanderungszahlen weiter sinken? Der Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Frank-Jürgen Weise rechnet für das aktuelle Jahr mit weniger als 300.000 Flüchtlingen. Das wären mehr als 700.000 Asylbewerber weniger als im Jahr davor. Momentan profitiert die AfD massiv davon, dass Deutschland im Fokus islamistischer Terroristen steht. Was ist, wenn diese Bedrohung eines Tages ausbleibt? Auch das im Zuge der Krimkrise merklich abgekühlte Verhältnis der Bundesregierung zu Russland spielt den Rechten in die Karten. Was ist, wenn sich das in den nächsten Jahren wieder ändert? Dann nämlich ginge Petry, Gauland und Höcke die Munition aus. Ein Sinkflug der AfD wäre eine logische Folge. Sie wäre nicht die erste Partei rechts der CDU, der nach einem kurzen Sprint die Puste ausgehen würde.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.