»Plan B«-Kontroversen in Kopenhagen
Die europäische Linke diskutierte zum dritten Mal im Konferenz-Format Alternativen zum Europa der Austerität
»Wir sind hier, um berechtigten Ärger und Frustration in eine internationale Bewegung für wirkliche Veränderungen zu überführen. Die Menschen in Europa brauchen eine Alternative zum Neoliberalismus der EU.« Mit diesen Worten eröffnete Pernille Skipper, Sprecherin und Abgeordnete der dänischen Rot-Grünen Allianz, am vergangenen Wochenende die Konferenz »Für einen Plan B in Europa!« Der Einladung der dänischen und der schwedischen Sozialisten sowie der GUE/NGL, der Fraktion der Linken im Europäischen Parlament, nach Kopenhagen waren mehr als 200 Interessierte aus zahlreichen Ländern Europas gefolgt; 21 linke Parteien waren vertreten.
Nach den vorausgegangenen Konferenzen in Paris und Madrid war dies nun die dritte »Plan B«-Konferenz. Dass die europäische Linke einen »Plan B« braucht, haben vor allem die Erfahrungen der SYRIZA-Regierung in Griechenland auf drastische Weise deutlich gemacht. Sie zeigen, dass eine linke Regierung auf nationaler Ebene keinen radikalen Politikwechsel durchsetzen kann, solange sie durch die Europäische Zentralbank erpressbar ist, die ihr schlichtweg den Geldhahn zudrehen kann.
Die Diskussion über einen »Plan B« bezieht sich aber nicht nur auf die Frage, ob es möglich oder notwendig ist, aus der Europäischen Währungsunion auszusteigen, um den Handlungsspielraum auf nationaler Ebene zu vergrößern. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die Linke es überhaupt mit der Europäischen Union hält. Will die Linke einen europäischen Bundesstaat oder eher die Lockerung der Integration? Kann die EU von innen sozial und demokratisch reformiert werden? Oder ist ein Bruch nicht nur mit der Währungsunion, sondern mit der EU insgesamt notwendig, bevor neue, solidarische Formen internationaler Kooperation in Europa entwickelt werden können?
Die Linke sei in einer tiefen ideologischen und politischen Krise, diagnostizierte der norwegische Gewerkschafter Asbjørn Wahl. Die Krise der Linken reflektiere sich im Aufstieg der Rechten. Die Linke müsse systematischer über die Ursachen ihrer Krise diskutieren. Solange es keine klare Analyse gebe, gerate auch jeder Versuch, eine Aktionseinheit der Linken herzustellen, an Grenzen.
Als Beispiel für die Probleme der Linken nannte Wahl neben ihrem unklaren Verhältnis zur EU auch die augenscheinliche Unfähigkeit, aus den vielen negativen Erfahrungen von Koalitionsregierungen der Linken mit der Sozialdemokratie zu lernen. Seine Position, dass die Linke die Kritik an der EU nicht der Rechten überlassen dürfe, wurde allgemein geteilt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz waren sich einig, dass sowohl die Währungsunion als auch die EU in ihrer gegenwärtigen institutionellen Struktur darauf angelegt sind, einen permanenten Klassenkampf von oben gegen die Lohnabhängigen zu führen.
Während in der europäischen Linken weitgehende Einigkeit in der Kritik an der neoliberalen und undemokratischen Politik der EU besteht, gehen die Vorstellungen bei den Alternativen weit auseinander. Li Andersson, die Vorsitzende der Linken Allianz aus Finnland, brachte eine allgemein geteilte Einschätzung auf den Punkt: Es gebe nur zwei Möglichkeiten, entweder müsse die Währungsunion durch eine gemeinsame Fiskalpolitik und Sozialpolitik ergänzt werden oder sie werde aufgrund der ungleichen Entwicklung in der Eurozone zerfallen. Sie persönlich sah keine Zukunft für die Währungsunion und stand damit nicht alleine.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz lehnten eine weitere Übertragung von Kompetenzen auf die EU und das Ziel eines europäischen Bundesstaates überwiegend ab. »Ich will keine weitere Zentralisierung von Macht – ich traue ihnen einfach nicht«, so Malin Björk, Abgeordnete der schwedischen Linkspartei im Europaparlament. Ein demokratischer Föderalismus sei in der EU angesichts der Machtverhältnisse zwischen den Mitgliedstaaten unmöglich, argumentierte Catarina Martins, die Vorstandsvorsitzende des portugiesischen Linksblocks.
Kontrovers war, ob die Linke offensiv für einen Austritt aus der EU eintreten sollte. Ein Teilnehmer aus England warnte etwa vor der Illusion, der »Brexit« könne zu einem »sozialistischen Erwachen« führen. Das Gegenteil sei der Fall: Rechte, die in der EU gelten, würden den Lohnabhängigen in Großbritannien nun genommen werden.
Luca Mesec, Abgeordneter der Initiative für demokratischen Sozialismus im Parlament Sloweniens, verglich die Lage in der EU mit dem Zerfall Jugoslawiens, wo der Nationalismus außer Kontrolle geriet und im Massenmord endete. Die Republiken des ehemaligen Jugoslawiens stünden heute schlechter da als zu Zeiten Titos. Auch der Mobilisierung für einen Plan B wohne ein nationalistisches Moment inne; man müsse sich der Gefahren bewusst sein. Er unterstütze die Initiative für einen Plan B dennoch, weil nur so eine progressive Veränderung in der EU in Gang gesetzt werden könne.
Joanna Bronowicka von der nationalen Leitung der neuen polnischen Linkspartei RAZEM betonte, dass »Europa« in Polen immer noch als Versprechen der Modernität gesehen werde, die Forderung nach einem Austritt aus der EU sei daher kaum vermittelbar. In Portugal sei der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft eng mit dem Ende der Militärdiktatur verbunden und werde insofern positiv gesehen, so Catarina Martins. Die Linke werbe daher nicht direkt für den Austritt aus der EU, sondern versuche deutlich zu machen, wo und warum breit geteilte Forderungen wie die nach höheren Löhnen, besseren Sozialleistungen, besseren öffentlichen Diensten mit den EU-Institutionen kollidieren.
Der Attac-Mitbegründer Peter Wahl plädierte für eine flexiblere Integration in Europa, eine »variable Geometrie«: Die Linke solle sich darauf einstellen, dass nicht mehr alle Staaten in der EU alles gemeinsam machen; es gelte in Zukunft verstärkt, »Koalitionen der Willigen« für Projekte wie etwa den Ausstieg aus der Kohleverstromung oder die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu suchen. Jeanne Chevalier von der französischen Parti de Gauche stellte verschiedene Konzepte eines alternativen Währungsregimes vor. Es wurde deutlich, dass die Diskussion über Alternativen zur Europäischen Währungsunion in Frankreich erheblich breiter und differenzierter als in Deutschland ist.
Die Linke in Deutschland sollte die Diskussionen, die in anderen Ländern Europas geführt werden, stärker zur Kenntnis nehmen. Der französische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon hatte bereits nach dem Referendum über den »Brexit« erklärt, dass für die Franzosen gelte: Entweder wir verändern Europa oder wir verlassen es. Wenn progressive Veränderungen in der EU überhaupt möglich sind, so dürften sie ohne Mélenchons Drohung mit dem »Plan B« und seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr jedenfalls bis auf Weiteres nicht durchzusetzen sein. Er ist nach den Meinungsumfragen gegenwärtig der Kandidat der gespaltenen Linken, der die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann und wahrscheinlich als einziger Linker noch eine gewisse Chance haben könnte, in die Stichwahl mit Marine Le Pen, der Kandidatin der rechtsextremen Front National, einzuziehen. Dies sollten sich auch diejenigen in der deutschen Linken klar machen, die einen »Plan B« ablehnen und an der EU und der Währungsunion festhalten wollen.
Thomas Sablowski ist Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit dem Schwerpunkt Politische Ökonomie der Globalisierung und Mitglied der Redaktion der PROKLA.
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