Erdogan bevorzugt weiter den eisernen Besen

Erneut mehr als 15 000 Staatsbedienstete in der Türkei entlassen / Haftbefehl gegen syrischen Kurdenführer

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die türkische Führung setzt ihren Repressionskurs unbeirrt fort. Am Dienstag verloren erneut Tausende staatlich Bedienstete per Federstrich von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ihre Stellung. Es betraf bisher schon vor allem Polizisten, Angehörige anderer Sicherheitsdienste und Soldaten, aber auch Lehrer und Mitarbeiter von Ministerien. Nun kommen laut Dekret nochmals exakt 15 726 Staatsbedienstete hinzu.

Ohne viel Federlesen möglich ist dies, weil das Parlament im Oktober den vierteljährigen Ausnahmezustand um weitere drei Monate verlängert hatte. Das ging völlig reibungslos über die Bühne, seit zahlreiche Abgeordnete der einzigen parlamentarischen Oppositionskraft, die diesen Namen verdient, in Haft sind, darunter die beiden Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, sowie der Fraktionsvorsitzende Idris Baluken.

Erdogan wird zuvor mit Befriedigung registriert haben, dass von den angeblich kritischen westlichen Verbündeten außer heißer Luft auch weiterhin mit wenig Gegenwind zu rechnen ist. Die Parlamentarische Versammlung der NATO, die am Montag in Istanbul stattgefunden hatte, war zwar als kritisches Forum angekündigt worden. Und es waren auch durchaus Erdogan tadelnde Worte zu hören, ob vom deutschen Grünen Jürgen Trittin oder von niederländischen Konservativen. Aber da NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Gastgebern höchstselbst und praktisch ohne Einschränkungen die Absolution erteilte, musste Erdogan das als Aufforderung verstehen, den Kurs zur Zerschlagung demokratisch-rechtsstaatlicher Strukturen in der Türkei fortzusetzen.

Insgesamt sind seit dem Putschversuch vom 15. Juli bereits über 100 000 angebliche Regierungsgegner aus Armee, Polizei, Justiz und Bildungswesen ins Gefängnis gesteckt oder entlassen worden. Die pauschale Beschuldigung lautet jedes Mal entweder auf Unterstützung der Bewegung des im US-Exil lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen oder Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Beides wird mit Hochverrat und Terrorismus gleichgestellt. Allein aus dem Polizeidienst wurden AFP zufolge jetzt 7586 Staatsdiener entfernt, darunter auch Polizeichefs. Im Innenministerium und seinen Behörden habe es fast 3000 Mitarbeiter getroffen.

Zusätzlich erlaubt sich der türkische Staat eine besondere Perfidie gegenüber den Verfolgten. Obwohl die allermeisten von ihnen nicht einmal angeklagt, geschweige denn der angelasteten Delikte überführt bzw. deswegen verurteilt sind, werden sie öffentlich gebrandmarkt. In augenscheinlich konzertierter Aktion und vermutlich auf Geheiß von ganz oben werden von den Behörden die Dienstorte und Namen der Verhafteten veröffentlicht. Selbst im Falle eines Freispruchs sind sie damit im momentan in der Türkei herrschenden gesellschaftlichen Klima geächtet.

Gleichzeitig erweckt der Staat damit den Eindruck, offenbar kaum etwas Justiziables gegen die Entlassenen vorbringen zu können. Aber geschadet ist ihnen so auf jeden Fall. Es ist für Erdogan am Ende wohl nicht einmal wichtig, ob die Beschuldigten tatsächlich Gülen- oder PKK-Anhänger sind. Befeuert wird ein Klima der Angst und ein um sich greifendes Denunziantentum - schließlich kann jetzt jeder missliebige Nachbar mit der Unterstellung, Gülen-Anhänger zu sein, ins Unglück gestürzt werden.

Dagegen fühlt sich offenbar kaum noch jemand gefeit. Selbst in Brüssel beim NATO-Stab arbeitende türkische Offiziere haben dieser Tage in Belgien um politisches Asyl gebeten. Stoltenberg hätten spätestens da die Ohren klingen müssen, wenn er wirklich um eine ernsthafte Bewertung der Vorgänge in der Türkei bemüht gewesen wäre.

Erdogan begnügt sich aber bei der Jagd auf politische Gegner nicht mit dem türkischen Territorium. So hat die türkische Justiz, wie AFP am Dienstag meldete, jetzt auch Haftbefehl gegen den Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Union (PYD), Salih Muslim, erlassen. Die syrische Kurdenpartei beschuldigt er des Anschlags auf einen Militärkonvoi in der türkischen Hauptstadt Ankara. Beweise dafür wurden nicht vorgelegt.

Die PYD operiert auf syrischem Gebiet, hat dort ein autonomes Gebiet ausgerufen und erfreut sich wohl unter anderem deswegen der Unterstützung, auch mit Waffen, der USA. Auf deren Reaktion darf man nun gespannt sein. Vielleicht spekuliert Erdogan aber auch darauf, dass sich bis zur Konstituierung eines neuen US-Außenministeriums erst einmal wenig in dieser Angelegenheit tut.

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