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Kein Fall für Sherlock Holmes
Arthur Conan Doyle auf den Spuren eines Justizirrtums
Seit 1887, als die erste von zahlreichen Sherlock-Holmes-Erzählungen erschien, war Arthur Conan Doyle als Schriftsteller berühmt. Angesichts seiner Autorität hätte man denken können, dass sein Buch »Der Fall Oskar Slater« so viel Aufsehen hätte erregen müssen, dass es in der Öffentlichkeit hätte etwas bewegen können. Doch dem war nicht so. Es dauerte bis zum Jahre 1927, ehe der 1909 in Glasgow zunächst zum Tode Verurteilte und dann zu lebenslanger Haft Begnadigte frei kam. Und es sieht so aus, als hätte es Arthur Conan Doyle nicht einmal allein bewerkstelligen können, dass endlich ein Berufungsverfahren aufgenommen wurde.
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* Arthur Conan Doyle: Der Fall Oskar Slater. Hg., Übers. u. Nachw. v. Michael Klein. Morio Verlag. 175 S., geb., 19,95 €.
So geht es in diesem Buch, das jetzt von Michael Klein herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen wurde, zunächst einmal weniger um die Suche nach einem Täter, wie wir es von Conan Doyle vielleicht erwarten würden. Es geht nicht um Verurteilung, sondern um Verteidigung, was einem ohnehin als das edlere Anliegen erscheint. Am Sinn von Strafverfolgung gibt es keinen Zweifel, doch die Aufklärung von Verbrechen ist selbst im günstigsten Fall oft mit »Kollateralschäden« verbunden. Selbst wenn der wirklich Schuldige gefasst wird, werden nahe Menschen gleichsam mitbestraft. Frauen verlieren ihren Ehemann, Kinder ihren Vater, Eltern ihren Sohn. Schaut man genauer hin in Kriminalromanen oder -filmen, hat die Genugtuung über den Triumph des Gesetzes oft einen bitteren Beigeschmack. Und wie schlimm ist es erst, wenn ein Unschuldiger verurteilt wird ...
Mord an einer wohlhabenden Dame in Glasgow: Das Dienstmädchen war für kurze Zeit außer Haus gewesen, und der Mieter aus der Wohnung darunter hatte Lärm gehört. Zusammen mit der jungen Bediensteten, die einen Schlüssel besaß, betrat er die Wohnung und sah einen Mann, der allerdings flüchten konnte. Ob dieser Mann der später gefasste und verurteilte Oskar Slater war, hätte fraglich bleiben müssen, weil sich alle Zeugenaussagen widersprachen. Was allerdings erwiesen scheint: dass die Polizei den Erfolg der Gegenüberstellung beein-flusste …
Überaus detailliert analysiert Arthur Conan Doyle den Fall. Der Leser könnte die detektivischen Fähigkeiten eines Sherlock Holmes wiedererkennen, wenn es nicht so augenscheinlich wäre, wie Polizei und Justiz einem Irrtum aufsaßen. Eigentlich war die Indizienlage so mangelhaft, dass es gar nicht zu einem Prozess hätte kommen dürfen. Aber so, wie sich die Strafverfolgungsbehörden verrannt hatten, wäre so ein Rückzieher für sie peinlich gewesen, zumal die Ermordung jener Dame in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt hatte. Mit Kriminaltechnik war es damals offensichtlich nicht weit her. Wie war die Frau zu Tode gekommen? Was war das Tatwerkzeug? Tatsächlich ein Hammer, weil Oskar Slater einen solchen in einer kleinen Ausführung besaß?
Der Leser darf mitkombinieren. Zusätzlich zu Conan Doyles Essay ist der Fall im Buch mit Zusammenfassungen der Fakten, Fotos und Tatortskizze aufbereitet. Bald kennt man sich genauestens darin aus, ja wird fast der Wiederholungen müde, bleibt aber in Spannung, weil man allzu gern wissen will, wer der wirkliche Mörder war. Da wird man Mutmaßungen anstellen, vielleicht das Dienstmädchen verdächtigen, mit dem Täter im Bunde gewesen zu sein. Und am Schluss, so viel sei versprochen, wird tatsächlich noch etwas Licht ins Dunkel gebracht. Dennoch bleiben Fragen.
Warum Polizei und Justiz vielen Spuren nicht nachgingen? Nur aus Bequemlichkeit und Schluderei? Oder wollten sie eine einflussreiche Person schützen? Oskar Slater war ein »Bauernopfer«, meint Michael Klein, weil er von undurchsichtigen Geschäften lebte - und weil er weder Schotte noch Engländer, sondern ein deutscher Jude war.
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