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Wie wir zu unserer Karikatur werden
»Stoner«-Autor John Williams folgt dem Leben des römischen Kaisers Augustus und lässt über Machtmechanismen nachdenken
Ohne den Spätbestseller »Stoner« hätte es nicht »Butcher’s Crossing« und ohne beide nicht »Augustus« gegeben. Die zwei erstgenannten Romane des US-Amerikaners John Williams (1922-1994) haben es in jüngerer Zeit zu großem Erfolg gebracht, nachdem sie bei ihrem Ersterscheinen ein halbes Jahrhundert zuvor so gut wie unbeachtet geblieben waren. Nun, auf deren Flügeln, ist mit »Augustus« erstmals auf Deutsch der Roman erschienen, den der Texaner als letzten seiner vier geschrieben hatte. Er war der einzige, der ihm mit dem National Book Award 1973 zu Lebzeiten Erfolg bescherte.
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* John Williams: Augustus. Roman. A. d. Am. v. Bernhard Robben. dtv. 475 S., geb., 22,90 €.
»Augustus« zeichnet in Form eines Briefromans, gegen Ende kurzzeitig sogar eines Schelmenromans, das Leben des ersten römischen Kaisers Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.) nach. Williams, ein Stilist, dessen Eleganz nie Beifall fordernd daherkommt, sondern Ruhe und Klarheit ausstrahlt (Eigenheiten, bei Übersetzer Bernhard Robben in bester Hand), hat sich damit für einen Mann von Einfluss in prägender Zeit entschieden. Das unterscheidet den Roman von seinen Vorgängern. Denn deren Helden waren fiktiv.
Stoner, ein Farmerssohn, der in Amerikas Mittelwesten seine Leidenschaft zur Literatur und Liebe zum Lehrberuf entdeckt, sowie William, ein »grüner« Harvard-Absolvent aus dem Osten, der mit Emersons Naturliebe im Kopf, wach, aber naiv, ausdauernd, aber verträumt, auf Büffeljagd den Sinn des Lebens sucht.
»Augustus« ist kein Sachbuch, sondern ein Roman. Das heißt nicht, dass man nichts über Lebensumstände des Kaisers, seines Reichs und Triebkräfte seiner Wandlungen erführe. Im Gegenteil. Die meisten handelnden, Briefe oder Tagebuch schreibenden Personen sind verbürgt wie Augustus: Gefährten und Widersacher aus der Nähe, Tochter Julia. Große Namen wie Cicero, Marcus Antonius tauchen auf oder bekannte, von Augustus geförderte Dichter wie Vergil, Horaz, Ovid.
Nicht belegt, vielmehr frei gestaltet, aber oft an Tatsachen angelehnt sind Dialoge, Briefantworten und Senatsbeschlüsse, die Williams frei einsetzt, um das Leben von Augustus, seine Konflikte um Machtausübung, Machterhalt und Machtverfall im Geflecht seiner persönlichen Beziehungen darzustellen. Nicht lange vor seinem Tod erklärte John Williams, was die beiden so unterschiedlichen Bücher »Stoner« und »Augustus« eint: »In beiden Fällen geht es um Führung und individuelle Verantwortung, um Feindschaften und Freundschaft … Die Größenordnung ist eine andere, aber die Machtmechanismen in einer Universität sind die gleichen wie im Römischen Reich.«
Ganz offenkundig angezogen fühlte sich Williams vom unwahrscheinlichen Werdegang des schwächlichen Gaius Octavius, der als Großneffe und Adoptivsohn Julius Cäsars nach dessen Ermordung in den Iden des März (44 v. Chr.) nach vorn rückte, die eigene wie die Macht des Reiches erweiterte und schließlich zum Alleinherrscher, zu Augustus wurde. In diesem lebenslangen Malstrom aus Versuch und Irrtum, Versprechen und Vertrauensbruch, Mord und Totschlag wird er am Ende zur Karikatur seiner selbst.
Dieser Konflikt ist das eigentliche Thema dieses wehmütig schönen Romans, und es ist ein gestalterischer Höhepunkt, dass er sich gegen Ende des Romans doppelt entfaltet. Indem Williams Augustus erstmals selbst als Briefschreiber einführt, nachdem zuvor stets zweite und dritte Personen über den Kaiser oder aber direkt an Augustus geschrieben hatten. Und indem Augustus, für Williams ein machtbewusster wie aufgeklärter Geist, in seinen letzten Worten beinahe schelmenhaft seinen besten Freunden - und sich selbst - bescheinigt, wie wenig sie ihn und seine wirklichen Motive kannten und wie oft auch er im Verlauf seines Lebens Wahrnehmung mit Wahrheit verwechselte.
Über eine von ihm in jungen Jahren autorisierte Biografie seiner Person und über frühere autobiografische Notizen nachdenkend, meint Augustus, dass im Leben eines Menschen der Moment kommt, in dem er »die schreckliche Tatsache begreift, dass er allein ist, getrennt von allen anderen, und dass er niemand sonst sein kann als dieses arme Geschöpf, das er nun mal ist«. Noch mehr scheint Williams zu berühren, was er seinen Augustus beim Abschied notieren lässt: »Es kommt mir vor, als hätte ich damals, als ich jene Bücher las und meine Worte schrieb, über einen Mann gelesen und geschrieben, der zwar meinen Namen trug, aber jemand war, den ich kaum kannte. So sehr ich mich jetzt auch anstrenge, ich bekomme ihn kaum mehr zu fassen; und wenn ich einen Blick auf ihn erhasche, verschwindet er wie im Nebel und weicht meinen neugierigen Blicken aus. Ich frage mich, ob er begriffe, was aus ihm wurde, wenn er mich sähe. Würde er die Karikatur erkennen, zu der alle Menschen werden?«
Was hier einer Feder vor zweitausend Jahren zugeschrieben wird, ist pure Zeitlosigkeit - wie wahr, John Williams.
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