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Die Höllenfahrt

»Auferstehung«, Lew Tolstois letzter Roman, ist neu übersetzt worden

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 4 Min.

Als der letzte Satz geschrieben war, setzte er nur noch das Datum aufs Papier: 16. Dezember 1899. Der Roman war endlich fertig, sein dritter großer Roman, ein Buch, um das er lange gekämpft hatte, zerrieben von Zweifeln, getrieben von Euphorie. Im Dezember 1889 hatte er begonnen. Da war noch nicht abzusehen, vor welche Prüfungen ihn diese Geschichte stellen würde, ja dass er manchmal schon glaubte, er würde nie mehr so schreiben können wie früher. Dann wieder, nach unendlichen Mühen, kam die alte Begeisterung zurück. Am Ende waren’s zehn Jahre, die er mit seinem Roman »Auferstehung« zugebracht hat. Er erschien, von der Zensur arg beschnitten, nach zahlreichen Vorabdrucken in St. Petersburg und bald danach auch im Ausland. Allein in Deutschland gab es in nur zwei Jahren zwölf Übersetzungen.


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* Lew Tolstoi: Auferstehung. Roman. Übers. u. komm. v. Barbara Conrad. Hanser. 717 S., geb., 38 €.


Barbara Conrad, die für den Hanser-Verlag schon »Krieg und Frieden« übersetzt hat, erwähnt im Nachwort nicht zufällig den Erfolg, den das Buch in Europa, später auch in den USA hatte. »Auferstehung« war ein Weltbestseller. Von diesem Ruhm ist freilich nicht viel geblieben. Obwohl auch in Deutschland immer mal wieder gedruckt, steht der Roman heute im Schatten von »Anna Karenina« und »Krieg und Frieden«. Hanser will das so nicht gelten lassen und hat den neuübersetzten Ausgaben beider Bücher ( 2009 und 2010) jetzt den dritten (und etwas schlankeren) Roman, Tolstois Schmerzenskind, zur Seite gestellt.

Es ist der späte Tolstoi, den man hier liest, ein Erzähler, der die politischen und sozialen Verhältnisse in seinem Land, die Willkür, den Despotismus, Justiz, Verwaltung und Kirche mit leidenschaftlicher Schärfe (und aus eigener Anschauung) beleuchtet und am Schluss die Gebote aufführt, die zu einem besseren Verhalten führen könnten. »Gute« Bücher, hat schon Stefan Zweig betont, waren für ihn nun nicht mehr die vollendet gestalteten, sondern jene, die dem »Guten« dienen, »den Menschen geduldiger, sanfter, christlicher, humaner, liebevoller« machen konnten. Hier, in dieser gewaltigen epischen Anklage, ist es Fürst Nechljudow, der im Lauf der Geschichte seine Auferstehung erlebt, mit der Vergangenheit bricht, seiner Arroganz, seinem Standesdenken, um die Liebe zum Nächsten zu entdecken.

Nechljudow ist Geschworener in einer Gerichtsverhandlung, als er in der zu Unrecht angeklagten Katjuscha Maslowa die frühere Geliebte erkennt, die Frau, die er einst verführte, dann im Stich ließ und die sich schließlich als Prostituierte durchschlagen musste. Er unternimmt, tief getroffen von dieser Begegnung, nun alles, um seine Verfehlungen zu sühnen, besucht die zu Zwangsarbeit Verurteilte im Gefängnis, kämpft um die Revision des Urteils, begleitet sie in der Hoffnung, sie heiraten zu können, in die Verbannung nach Sibirien. Er ist schockiert von all dem Unrecht, dem Elend, das er sieht, mal deprimiert und dann wieder voller Energie, beeindruckt von Menschen, die im Unglück, in der Finsternis landeten, ihrer Freiheit beraubt und dabei stärker, menschlicher als jene auf der Sonnenseite des Lebens sind. Katjuscha Maslowa lernt in der jungen Marja Pawlowna eine Schicksalsgefährtin kennen, eine Revolutionärin aus reicher Generalsfamilie, die »sich wie die einfachste Arbeiterin verhielt, den anderen alles abgab, was ihr reicher Bruder ihr schickte, und deren Kleidung und Schuhwerk nicht nur einfach, sondern ärmlich waren …«

Noch einmal hat Tolstoi in diesem Roman, mit stark moralisierenden, frömmelnden Passagen am Schluss, ein erschütterndes Bild der Zustände im zaristischen Russland gemalt und dabei mit Wut und Hohn die Justiz attackiert. Barbara Conrad, die dicht an seinen Sätzen bleibt, hat die Vorlage in ein kräftiges, modernes Deutsch gebracht. Sie sorgt überdies mit Anmerkungen und dem Nachwort für hilfreiche Informationen über Autor, Roman und Zeit. So großartig, auch so attraktiv ist der Roman lange nicht präsentiert worden. Der Verlag hat »Auferstehung« in seiner wunderschönen, inzwischen vielbändigen Klassikedition herausgebracht, einer Reihe, die allein durch die noble, hochwertige Ausstattung (Dünndruck und Einbände in Leinen) entzückt.

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