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Wann wagen die Armen den Aufstand?
Christoph Butterwegge geht der engen Beziehung zwischen Reichtum und Armut auf den Grund
Der scharfsinnige Philosoph, Satiriker und Arzt Bernard de Mandeville (1670-1733) stellte in seiner »Bienenfabel« schon 1714 fest, der »sicherste Reichtum« bestehe »in einer großen Menge schwerarbeitender Armer«, die den Reichtum erst erzeugen. Hundert Jahre später identifizierte Karl Marx den »zwieschlächtigen Charakter« der kapitalistischen Produktionsweise mit dem Hinweis, »dass in denselben Verhältnissen, in denen der Reichtum produziert wird, auch das Elend produziert wird«.
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* Christoph Butterwegge: Armut. PapyRossa. 131 S., br., 9,90 €.
Hintergründe erhellen und Zusammenhänge herstellen ist das Anliegen von Christoph Butterwegge, ausgewiesener Experte für soziale Probleme und Bundespräsidentschaftskandidat der Linkspartei. Sein Essay hebt sich wohltuend ab von den üblichen, zahlengesättigten Armutsstudien. Der Politologe beklagt das gesellschaftliche Tabu, über die Beziehung von Reichtum und Armut zu reden. Stattdessen werde Armut in fortgeschrittenen Industriegesellschaften mehr oder weniger als Folge individuellen Versagens (»Faulheit«, »Charakterschwäche« oder »Suchtabhängigkeit«) dargestellt. Zur Leugnung von Armut hierzulande dient regelmäßig der Verweis auf das absolute Elend in der südlichen Hemisphäre. Butterwegge zitiert etliche Verneblungsversuche liberaler, neoliberaler und konservativer Politiker, Wissenschaftler und Journalisten.
Armut ist ein Relationsbegriff, mit dem die Lebenslage eines Teils der Bevölkerung mit der durchschnittlichen Lebenslage einer Gesellschaft in Beziehung gesetzt wird. Armut ist aber mehr als nur eine Frage von Geld und Einkommen. Sie hat soziale und kulturelle Dimensionen. Butterwegge vermisst zu Recht in der deutschen Debatte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der wachsenden Spaltung der Gesellschaft in Arme und Superreiche. Ein Trend, der mit kultureller und politischer Exklusion einhergeht. Ein weiterer Trend ist die Verstetigung, d. h. die »Vererbung« einerseits von Armut und Bildungsdefiziten bei Langzeitarbeitslosen, Alleinerziehenden und Migranten sowie andererseits von Einfluss und Posten der reichen Familienclans.
Ein geradezu trostloses Bild geben die Armutsberichte der Regierung ab. Allein dass es bis 2001 dauerte, bis überhaupt erstmals, von einer rot-grünen Regierung, ein offizieller Armutsbericht erstellt wurde, ist ein Skandal. Obwohl noch mangelhaft hat der erste Report bereits neoliberale Publizisten, allen voran Meinhard Miegel, alarmiert, die nicht eine Beseitigung der Armut, sondern die Vermeidung des Begriffs »Armut« forderten - aus Gründen »der sozialen Hygiene«. Der zweite Armuts- und Reichtumsbericht von 2005 vermied dann auch das Wort »Armut«, sprach verschleiernd von einer »Armutsrisikoquote«, musste aber einräumen, dass diese in fünf Jahren um 1,4 Prozent auf 13,5 Prozent gestiegen war. Die Publikation des dritten Armuts- und Reichtumsbegriffs durch Olaf Scholz setzte zunächst ein Zeichen mit dem Satz: »Jeder achte Deutsche lebt in Armut.« Aber dieser Satz wurde durch den Nachsatz sofort wieder relativiert: »Der Sozialstaat wirkt!«. Der vierte Bericht schlug hohe Wellen, weil seine Endfassung nach einer Indiskretion auf Wunsch der FDP erheblich entschärft wurde. Hieß es zunächst, »privater Reichtum« sei über die geltenden Steuern hinaus »für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben« heranzuziehen, so wurde daraus in der Endfassung der Appell an das »freiwillige Engagement Vermögender«. Bis heute kann von einer Armutsbekämpfung durch die Regierungsparteien nicht die Rede sein - dafür aber von fürsorglicher Reichtumsförderung.
Der Essay von Christoph Butterwegge öffnet die Augen für die wirklichen Zustände in unserem Land. Die Schrift erschien in der Reihe »Basiswissen« des PapyRossa-Verlages, in der renommierte Wissenschaftler wie Frank Deppe, Kurt Pätzold, Manfred Weißbecker, Georg Fülberth, Jörg Roesler, Gerd Fesser u. a. historische, politische, wirtschaftliche und philosophische Probleme und Phänomene erörtern. Die farbigen Bändchen schmücken nicht nur das Bücherregal, sondern sind Nahrung für den Geist und bieten Argumente.
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