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Sachsen: Im Streit mit Gedenkstättenstiftung fordert der VVN-BdA ein Machtwort Tillichs

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ging um einen Raum, in dem 15 Menschen etwa drei Stunden lang beraten können. Der Landesvorstand Sachsen des NS-Opferverbandes VVN-BdA wollte im September die Gedenkstätte Bautzen besichtigen und bei der Gelegenheit auch eine Sitzung abhalten. Eine Lappalie, sollte man meinen. Nicht jedoch in Sachsen. Das Ansinnen des Verbandes führte zu regem Mailverkehr mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten (StSG), deren Geschäftsführer Siegfried Reiprich in zunehmend harschem Ton eine Unterwerfungsgeste forderte. Als diese ausblieb, wurde der Raum verwehrt: Ein Abhalten der Sitzung sei »leider nicht möglich«, beschied Reiprichs Vize. Die Stiftung, hieß es danach beim NS-Opferverband empört, kündige faktisch »die Zusammenarbeit mit VVN-BdA auf«.

Der Schriftverkehr ist einem Brief beigefügt, den der Opferverband vor acht Wochen an Stanislaw Tillich, Sachsens CDU-Ministerpräsidenten, richtete. Der VVN-BdA betont darin seinen Willen zur Mitarbeit in der Stiftung und erinnert an deren gesetzlichen Auftrag, Opfer sowie bürgerschaftliche Initiativen einzubeziehen. Man stelle sich aber die Frage, »ob durch den Geschäftsführer unsere Mitarbeit noch gewünscht ist«. Tillich wurde um Intervention gebeten. Seither geschah - nichts. Der Verband wurde nicht einmal einer Antwort für wert befunden. In einem erneuten Brief drängt er nun auf ein Machtwort. »Wir hatten die Hoffnung, dass Sie mit einem klaren Wort für die Gesundung der Situation sorgen würden«, heißt es: »Leider haben wir von einem solchen nichts vernommen.«

Die Zustände in der Stiftung lassen seit längerem an den Leitungsqualitäten Reiprichs zweifeln. So gab es immer wieder Berichte über langwierige arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern, ebenso Vorwürfe von Ehrenamtlichen, die sich ausgebootet fühlen. Der Zwist mit dem VVN-BdA ist ein weiterer Beleg für ein seltsames Amtsverständnis Reiprichs. Dieser verlangte vor einer Zusage für den Raum erst die Rücknahme kritischer Aussagen, mit denen Verbandssprecherin Regina Elsner in einer Zeitung zitiert worden war. Der VVN-BdA solle zusichern, dass er »falsche und diffamierende Äußerungen« nicht wiederholen werde.

Später verlangte Reiprich in ultimativem Ton eine Antwort, sonst müsse er »davon ausgehen, dass sie die Interessen dieser (...) Stiftung beeinträchtigen werden«. Im Brief an Tillich beklagt der VVN-BdA ein »merkwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit« beim Geschäftsführer der Stiftung. Der LINKE-Abgeordnete Franz Sodann hatte wegen des Vorfalls sogar die Abberufung Reiprichs gefordert: »Das Maß ist endgültig voll«; der Geschäftsführer sei »nicht länger als Chef zuzumuten«.

Die schon vor Monaten geäußerte Kritik Elsners bezog sich auf die Aufarbeitung der NS-Zeit in den Gedenkstätten Bautzen und Torgau, die »verschleppt« werde und in die sich ihr Verband »nicht eingebunden« fühle. In Torgau, wo das NS-Regime über Deserteure richtete und wo später sowjetische Speziallager bestanden, gab es jahrelang Kritik von Opfern der NS-Militärjustiz an einer falschen Akzentsetzung. In Bautzen, wo bisher an die Lager der Nachkriegszeit und die Inhaftierung politischer Häftlinge in der DDR erinnert wird, soll ein Abschnitt über die NS-Geschichte nun im Jahr 2017 eröffnet werden.

Die Ausrichtung des Gedenkens ist in Sachsen ein besonders brisantes Thema. Jahrelang hatten sich NS-Opferverbände aus den Gremien der Gedenkstätten zurückgezogen, weil ihrer Ansicht nach im Freistaat eine Gleichsetzung von NS-Verbrechen und DDR-Unrecht erfolge. Erst eine Novelle des Gedenkstättengesetzes im Jahr 2012 entspannte die Lage. Inzwischen aber gibt es neue Klagen. So offenbarte eine Anfrage der Grünen im Landtag, dass die Stiftung deutlich mehr Geld in Projekte aus der Zeit nach 1945 steckt als zur Zeit davor. Aus einzelnen Gedenkstätten kommt der Vorwurf, dass die Stiftung »der Zeit des Nationalsozialismus für die Geschichte Sachsens insgesamt einen untergeordneten Stellenwert beimisst«. Reiprich weist die Vorwürfe empört zurück: Eine Unterscheidung in »Opfer ›erster‹ und ›zweiter‹ Klasse«, schrieb er kürzlich, verbiete schon das Stiftungsgesetz. Die Mittel würden nicht unausgewogen verteilt.

Ob dieser Beteuerung die konkrete Arbeit der Stiftung entspricht, könnte eine Evaluation der Einrichtung erweisen. Jedoch ist mit schnellen Ergebnissen nicht zu rechnen. Erst nächsten Monat werden die Vorgaben für die Evaluation erwartet, die eine im Mai eingesetzte Arbeitsgruppe hatte erarbeiten sollen. Danach muss der Auftrag vergeben werden. Beobachter gehen davon aus, dass im Sommer 2017 feststeht, wer die Stiftung evaluiert. Ergebnisse dürften erst Ende 2017 vorliegen. Ob der VVN-BdA bis dahin eine Antwort auf seine Briefe an Sachsens Ministerpräsidenten Tillich erhält, bleibt abzuwarten.

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